Kurzkritik:Beseelt

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Chris Reas berührender Auftritt in der Philharmonie

Von Dirk Wagner, München

Die Zeit scheint einen nicht so sehr altern zu lassen wie schwere Erkrankungen, die tiefe Furchen in den Lebensbaum schlagen. Chris Reas Bauchspeicheldrüsenkrebs zum Beispiel, den der Schmuserocker vor 17 Jahren zum Glück besiegt hatte. Oder sein Schlaganfall im vergangenen Jahr, der weder das neue Album "Road Songs For Lovers" noch die dazugehörige Tournee verhindern konnte. Eine Tournee, die dem 66-Jährigen trotz besagter Furchen ein Jungbrunnen zu sein scheint. Immerhin wirkt er fitter, als bei seinem Auftritt vor drei Jahren. Und tatsächlich hätte sein aktuelles Album wohl auch "Love Songs For The Road" heißen können. Denn Rea liebt die Straße.

Fünf von 16 Songs, die er in einer fast ausverkauften Philharmonie vorträgt, handeln schon dem Titel nach von ihr. Wobei es auch um steinige Straßen geht, über die der einstige Krebspatient hinweg tanzen mochte. Die Krankheit also im Tanz vergessen, und den Schmerz mit Lachen unterdrücken. Oder mit Schmerzmitteln, wie die in "Easy Rider" besungenen. Keine noch so gelungene Textzeile reproduziert allerdings das Leiden so sehr wie Reas Gitarre, die mal schluchzt, mal aufheult, mal winselt, mal schreit. Die mal wütend gegen das Leiden ankämpft, und mal beruhigend ihren Frieden damit zu machen versucht. Und die letztlich sogar tröstet. Mit warmen, klaren Tönen, die Rea ohne Plektrum seinen Saiten entlockt. Dafür mit einem Glasröhrchen über den kleinen Finger gestülpt, mit dem er auch mal in die ganz hohen Tonlagen der Saiten gleitet.

Begleitet von einer starken Band, gelingt ihm eine perfekte, in sich ruhende Musik, die ihre Hörer nicht nur über die Ohren, sondern gleich über deren Seele erreicht. Oder was immer es da geben mag, was Reas weinende Gitarre so unnachahmlich tief zu berühren weiß.

© SZ vom 03.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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