Kurzkritik:Anrührende Hymnen

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Ivan Lins mit seiner Band im Bayerischen Hof

Von Oliver Hochkeppel, München

Selten kommt es bei Konzerten im Nightclub des Bayerischen Hofs vor, dass sich nach zwei Takten Jubel erhebt und anschließend praktisch ohne Pause mitgesungen wird: Ivan Lins, der heimliche König der Musica Popular Brasileira, hatte einen erklecklichen Teil der brasilianischen Gemeinde Münchens um sich geschart. Und dazu noch eine große Zahl heimischer Jazzmusiker - ein Indiz dafür, welche Kapazität sich hier die Ehre gab.

Warum das so ist, ist schon nach der ersten zwei, drei Stücken klar: Lins ist und bleibt neben Kollegen wie Antonio Carlos Jobim oder Sergio Mendes der unerreichte Schöpfer berührender und mitreißender, in jedem Fall eingängiger Melodien im Kontext der brasilianischen Musik, ohne je ins Seichte abzugleiten. Ein Hymnenschreiber ist er, aber einer, dessen sicherer Geschmack und Sinn für Ästhetik die Kitschgrenze stets souverän umschifft. Anrührende Lyrik, rhythmische Wucht, instrumentaler Feinsinn und gruppendynamische Arrangements im Jazz-Spirit, all das vereint Lins in nahezu jeder seiner Kompositionen, ohne dass diese deshalb komplex zu nennen wären. Es schadet nichts, wenn das Weltklasse-Musiker spielen, es ist aber auch nicht unbedingt nötig - wohl auch ein Grund, warum Lins' Stücke so oft und von so vielen gecovert werden.

Obwohl es natürlich am meisten Spaß macht, wenn der 71-Jährige seine zahllosen Hits von "Madalena" bis "Meu Pais" oder "Arlequim Desconhecido" selbst spielt. Wie er sich im Bayerischen Hof für jedes gelungene Solo seiner Begleiter (neben dem großartigen Gitarristen Claudio Ribeira noch der Schlagzeuger Chris Well, der Perkussionist Alfonso Garrida und der Bassist Claus Fischer) freut, wie er zwischendurch ein "Bring back my Obama to me" anstimmt, wie er ohne jedes Gehabe zu einer dritten Zugabe zurückkehrt und anschließend geduldig für jeden Fan zu einem Foto posiert, das macht Lins über seine Musik hinaus zu einem brasilianischen Symbol für Weltoffenheit, Liberalität und Menschlichkeit.

© SZ vom 24.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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