Kurzkritik:Angeschwitzt

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Das Pop-Duo "Stereo Total" bittet in der Roten Sonne zum Tanz

Von Martin Pfnür, München

Es hatte schon eine gewisse Komik, als das deutsch-französische Duo Stereo Total aus Berlin gegen Ende seines Sets mit "Everybody In The Discotheque (I Hate)" ein Stück hören ließ, das dem ohnehin schon massiv in Bewegung geratenen Publikum im gut gefüllten Techno-Club Rote Sonne noch mal einen ordentlichen Schub verpasste - in seinem Inhalt jedoch gleichzeitig eine Nachricht transportierte, die wie eine Watschn für den Club-Hedonismus wirkte, dem hier allwöchentlich gefrönt wird. "I don't like pills, I don't like coke / I don't like the pretty folk", skandierte die Sängerin Françoise Cactus da zu stramm nach vorn strebender Electronica. Und auch der Berufsstand des DJs, seine Platten, ja sogar der Rauch und das Stroboskoplicht bekamen in dem galligen Stück ihr Fett weg, während sich die angeschwitzte Zuhörerschaft, die mittlerweile vor und auf der kleinen Bühne tanzte, immer wilder in den Beat hineinwarf und der Gitarrist Brezel Göring sich als Stagediver durch den langgestreckten Raum tragen ließ.

Dabei war diese elektrifizierte Seite, von der sich die beiden da präsentierten, ja nur eine von vielen Stereo-Total-Versionen, die an diesem Abend zum Tragen kamen. So schöpft das 1993 gegründete und bis heute höchst produktive Duo die interpretatorische Freiheit des Chansons mit einer Lust am Do-It-Yourself-Eklektizismus aus, die weder Genre- noch sprachliche Grenzen kennt. Mal in Form dieser charmant versauten Sexyness, die Cactus mit ihrem französischen Akzent evoziert, wenn sie hochmelodische Klassiker wie das doppeldeutige "Schön von hinten" oder das lässig auf einem Hip-Hop-Beat dahinrollende Ménage-à-trois-Loblied "Liebe zu dritt" anstimmte; mal in Form schmissiger Garage-Rock-Nummern wie "Zu schön für dich", zu dem sie rumpelnd an einem Mini-Drumset den Rhythmus einklopfte und - von Pfirsichhaut und einem Pampelmusenbusen träumend - jugendliche Schönheitsideale aufs Korn nahm; mal auf Japanisch, wie zu den verspielten 8-Bit-Computerspielsounds des Elektro-Pop-Stücks "Asonderu", dessen Lyrics sie freundlicherweise vorab übersetzte; und mitunter auch mal mit einem Cover wie Bowies' "Heroes", das Cactus und Brezel mit einer Low-Budget-Nonchalance vortrugen, die so wohl nur die beiden drauf haben. Alte Helden eben.

© SZ vom 15.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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