Kurzkritik:Alles im Fluss

Das Kammerorchester und der Glauben

Von Rita Argauer, München

Reformation ist das derzeitige Motto des Münchener Kammerorchesters. Doch wenn nun Alexander Liebreich, ehemaliger Chefdirigent, als Gastdirigent Beethovens einziges Oratorium, "Christus am Ölberge", leitet, dann wirkt das ein wenig wie eine Gegenreformation. Doch 500 Jahre nach Luthers Umwälzungen, kann man das Reformatorische heutzutage auch darin sehen, dass möglichst verschiedene Ansichten, also die heutzutage sowieso gern beschworene Diversität einen möglichst großen Raum bekommt.

Die große interpretatorische Aufgabe liegt in diesem Programm, das Beethoven Arvo Pärts "Te Deum" voranstellt, also im Wechsel der Blickrichtung. Liebreich verlangt dafür vom klanglich großartig schwebenden und stimmlich eng verschmolzenem Rias-Kammerchor und seinem ehemaligen Orchester eine mechanische Präzision, die die archaische Strahlkraft von Pärts Stücks befeuert. Alles fließt, trotz der großen dynamischen Spannung und der akzentreich synkopierten Zäsuren, die sowohl Streicher als auch Chor setzen und die Liebreich konstant einfordert. Pärt hat damit so etwas wie das ruhende Auge eines stürmischen Glaubens komponiert. Den äußeren Blick auf das gesamte Ausmaß des Glaubens, den vertonte jedoch Beethoven.

Ein Fokuswechsel. Beethovens Stück quillt über vor dramatischem Impetus, verdichtet durch die Solisten, allen voran der bestimmte, laute und nie ins Schrille kippende Sopran von Simona Šaturová und der zu Beginn flehende und später voll Erlösung strahlende Tenor Benjamin Bruns. Die Musiker folgen Liebreichs opernhafter Interpretation, und Liebreich vertraut seinen großartigen Musikern. Denn nur derer Präzision wegen kann er auf solch stark theatrale Effekte setzen, ohne auch nur in die Nähe großgestischer Albernheit zu geraten.

© SZ vom 18.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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