Kunstwerte:Diamantenfieber

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Damien Hirsts Kurs ist im Keller. Warum? Er hat die wichtigste Regel der Kunstspekulation missachtet. Jetzt setzt er auf einen honorigen Relaunch.

Von Astrid Mania

Auf einmal ist er wieder da: Damien Hirst. Einst die erfolgreichste Verkörperung der YBAs, der Young British Artists, ist er seit Längerem jedoch so ungeliebt wie momentan die Aktie des VW-Konzerns. Toxisch. Dass Hirst nun wieder Thema bei Kunstspekulanten und Presse gleichermaßen ist, liegt an seinem Privatmuseum, das er im Oktober in London eröffnen wird. Es wird keinen Überblick über Hirsts Werk bieten, sondern dessen Sammlung zeitgenössischer und älterer Kollegen zeigen, die in Auszügen bereits in Turin oder auch Moskau zu sehen war. Das Ziel ist klar: Hirst hat vor, sich in die Kunstgeschichte einzuschreiben. Ob ihm das gelingt, bleibt abzuwarten. Schneller aber wird sich zeigen, ob dies die Preise seiner Werke tatsächlich so befeuert, wie es sich manche Sammler erhoffen.

Hirst hatte sich schon einmal spektakulär verkalkuliert. 2007 war er angetreten, das teuerste zeitgenössische Kunstwerk überhaupt zu schaffen: "For the Love of God", jenen berühmt-berüchtigten Schädel, besetzt mit Diamanten und einer behaupteten Prise Kapitalismuskritik. Das Bling-Bling-Objekt par excellence war von Hirsts Galerie White Cube für 50 Millionen Pfund angeboten worden. Die Herstellungs- und Materialkosten für das Werk sollen sich auf 14 Millionen belaufen haben. So schwierig gestaltete sich der Verkauf bekanntermaßen, dass Hirst unter dem Deckmantel einer Investorengruppe schließlich selbst zugriff.

Wie konnte das passieren? Am Preis allein kann es nicht gelegen haben. Allein im Jahr 2006 wurden für mehrere Arbeiten anderer Künstler Rekordpreise in vergleichbarer Höhe gezahlt. Geld genug gab es also auf dem Kunstmarkt.

Dass ein Pissoir Kunst ist, lässt sich nicht am Gegenstand selbst überprüfen

Doch es gibt eine plausiblere Erklärung für Hirsts Reinfall: Er hatte die wichtigste Eigenheit zeitgenössischer Spekulationskunst missachtet: Sie sollte möglichst frei sein von materiellem Wert und Inhalt. Hirst jedoch hatte dem potenziellen Käufer einen spezifischen Gegenwert geboten. Er hatte einen Preis verlangt, der das Dreifache der Produktionskosten ausmacht - eine lächerlich geringe Spanne, die die magische Werterzeugung, zu der Kunst fähig ist, in keiner Weise nachvollzieht. Hirst hatte die ungeschriebenen Gesetze der Kunstspekulation entzaubert und verraten.

Die Entkoppelung der Preise von nachvollziehbaren Kriterien wie Materialwert, Seltenheit, Musealität, Können oder Inhalt scheint die Voraussetzung für den spekulativen Umgang mit Kunst zu sein. Marcel Duchamp hat mit seinen Readymades scharfsinnig vorgeführt, dass der Status als Kunst einem Werk nicht innewohnt, sondern ihm von außen zugeschrieben wird - sei es durch Verlagerung in einen Kunst-Raum, sei es durch einen performativen Akt, der alles zu Kunst erklären kann. Ähnlich verhält es sich in unserer wunderbaren Warenwelt. Auch hier lässt sich alles - Objekte, Handlungen, Beziehungen - zum käuflichen Gegenstand erklären.

In beiden Fällen ist es eine Setzung, eine Behauptung, die aus einem Pissoir ein Kunstwerk und aus einem Beutel aus eingefärbter Rinderhaut eine Handtasche machen kann, die man einfach haben muss. Niemals aber können wir diese Behauptung am Gegenstand selbst begründen oder überprüfen. Sie ergibt sich aus der Anerkennung oder Unausweichlichkeit ästhetischer oder ökonomischer Systeme. Kaufen heißt glauben.

Dort, wo sich beide Sphären begegnen, auf dem Kunstmarkt, potenziert sich diese Magie. Hier hat man es nicht nur mit einem - wie auch immer gearteten - Gegenstand zu tun, der auf wundersame Weise in Kunst gewandelt wird. Sondern auch mit einem Gegenstand, der auf geradezu alchemistische Weise in Geld gewandelt wird. Dieser Wert, der Preis, belohnt die zuvor vollzogene Transformation eines an sich relativ wertlosen Etwas in Kunst.

So wird nicht mehr oder nur das singuläre Meisterwerk, der berühmte Name honoriert, sondern auch und vor allem jene Fähigkeit, aus einer Behauptung Kapital zu schlagen: aus der Tatsache, dass eine Leinwand mit Ölfarbe, ein Pissoir, ein mit wenigen Strichen gefülltes Blatt, ein Lied an einem Blumenbeet oder lediglich eine Idee ihre Ausgangsstoffe hinter sich lassen und zu einer Unerklärlichkeit namens Kunst werden können. Der ökonomische Wert erzeugt und steigert sich selbst. Die Erzählung dieses Wertzuwachses wird geradezu zum Inhalt der Arbeit, ihre eigentliche Narration.

Wo ein Werk bereits eine komplizierte Ikonografie mit sich herumschleppt, eine anstrengende Genealogie, sich womöglich einmischt, für irgendetwas oder irgendwen Partei ergreift, da ist einfach kein Platz mehr für die wundersame Mär von der gelungenen Transformation in Kunst und Geld.

Ein erfolgreiches Werk muss vorführen, dass sich potenziell alles in Geld verwandeln lässt

Wenn aber genau dieser Glaube an die ökonomische Performance eines Werkes dessen Preis in hohem Maße mitbestimmt wie bei "For the Love of God" muss es auf dem Markt für Höchstpreise scheitern. Kunst, mit der spekuliert wird, muss in der Lage sein, den Glauben an das Spekulative in sich aufzunehmen, ihn auszustellen. Hierfür muss die Diskrepanz zwischen dem, was sie zeigt, und dem, was ihr zugeschrieben wird, gewaltig sein. Wenn Kunst zum Sinnbild und Träger des "Midas touch" wird, der Fähigkeit, im Rahmen unserer Ökonomie potenziell alles in Gold zu verwandeln, dann stören rationale Kalkulierbarkeit ebenso wie ein Übermaß an Narration und Inhalt.

Allerdings findet sich in Damien Hirsts überreichen Œuvre ja genügend Kunst, die genau diesen Kriterien entspricht. Sollte sein Marktwert tatsächlich wieder steigen, könnten diese Werke genau hiervon erzählen.

© SZ vom 26.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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