Kunstkolumne:Spurensuche

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die die Menschen bewegen. Das Lamm ist seit jeher der Inbegriff still erduldeten Leidens. Beim Maler Francisco de Zurbarán ist es mehr als ein Ostermotiv.

Von Gottfried Knapp

Die Welt verändert sich ständig - nicht aber die großen Fragen, die die Menschen bewegen. Das Lamm gehört zum Osterfest, nicht erst seit Zurbaráns Malerei.

Schon der Evangelist Johannes hat Christus als "Lamm Gottes" bezeichnet und so den Opfertod des Erlösers in der Pessachwoche indirekt mit dem jüdischen Brauch, zum Pessachfest ein Lamm zu schlachten, in Verbindung gebracht. Seither dient das Lamm, diese Inkarnation still erduldeten Leidens, als zentrales Symbol des christlichen Glaubens. Die jüdische Tradition des Opferlamms aber ist in vielen christlichen Weltgegenden für das Osterfest übernommen worden.

Der tiefgläubige spanische Maler Francisco de Zurbarán (1598 bis 1664) konnte sich in mystizistische Visionen frommer Männer hineinfantasieren, er konnte aber auch realen Alltagsgegenständen wie Früchten, Gefäßen und Gewändern eine fast anbetungswürdige Präsenz verleihen. Als er um 1635 dem "Agnus Dei", dem Lamm Gottes, eine Gestalt gab, hat er auf alle traditionellen Attribute wie die Kreuzesfahne verzichtet und mit sichtlichem Mitgefühl ein junges Tier abgemalt, wie es vor Ostern auf Märkten im Mittelmeerraum überall zum Kauf angeboten wurde. Die Innigkeit, mit der er das wollige Fell des Tiers und den quasi immateriellen Heiligenschein vergegenwärtigt, teilt sich dem Betrachter unmittelbar mit. Bewegender ist Wehrlosigkeit wohl selten dargestellt worden. Ob Zurbarán mit seinem Opferlamm auch Kritik an den österlichen Massenschlachtungen formulieren wollte, wissen wir nicht. Aber die Zuneigung, die er diesem jungen Tier mit den zusammengebundenen Beinen entgegenbringt, bewegt uns Heutige wohl noch mehr als die Menschen der Barockzeit.

© SZ vom 26.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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