Kunst:Vom Standpunkt der Ente aus

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Die Münchner Pinakothek der Moderne zeigt das grafische Werk der amerikanischen Künstlerin Kiki Smith. Sie hat der Graphischen Sammlung mehr als 800 Arbeiten geschenkt.

Von Gottfried Knapp

Mit der großzügigen Schenkung ihres druckgrafischen Gesamtwerks an die Graphische Sammlung München hat die amerikanische Künstlerin Kiki Smith nicht nur ihrem Geburtsland - sie wurde 1954 in Nürnberg geboren -, sondern auch der Stadt München, in der sie in den letzten Jahren häufig gearbeitet und ausgestellt hat, hohe Ehre erwiesen. Die von der Graphischen Sammlung als Antwort zusammengestellte Ausstellung in der Pinakothek der Moderne - sie zeigt 160 Arbeiten ganz unterschiedlicher Thematik und Technik aus dem Bestand der 800 Bildwerke - gibt einen imponierenden Eindruck von der Fülle der technischen Experimente und der thematischen Wandlungen, mit denen die Künstlerin ihr Werk immer wieder in neue Richtungen gelenkt hat. Kiki Smith hat der Kunstwelt im Medium der Druckgrafik eine Vielfalt an bildnerischen Spielarten geboten, die im gegenwärtigen Ausstellungsbetrieb fast einzigartig sein dürfte. Die Münchner Ausstellung und der anlässlich der Schenkung von Birgitta Heid erarbeitete große Katalog machen aber auch zum Erlebnis, wie logisch die Künstlerin diese vielfältigen Formen der Dingwiedergabe von der einfachsten Darstellungsmethode, vom andeutenden Strich, mit dem auch Kinder sich die Welt zusammensetzen, her abgeleitet hat.

Das Werk grenzt sich gegen den Minimalismus und die abstrakte Kunst des Vaters ab

Und noch etwas wird bei der Wanderung durch das druckgrafische Werk deutlich: die allmähliche Verschiebung des Standpunkts, von dem aus die Künstlerin die Welt betrachtet. In ihren frühesten Arbeiten hat sie sich, deutlich auf Abstand gehend zu den puristischen Exerzitien des Minimalismus und damit zur abstrakten Kunst ihres Vaters, des großen Bildhauers Tony Smith, ganz auf die Funktionen des eigenen Körpers konzentriert und dessen Organe in teilweise schockierender Deutlichkeit zeichnerisch oder plastisch zur Schau gestellt oder in bildhaft sprechende Zusammenhänge eingebunden.

Nach dieser Introspektion hat sich die Künstlerin mehr und mehr mit dem Dasein in der Welt, mit den Existenzformen zwischen Geburt und Tod beschäftigt. Danach aber öffnet sich ihr Blick auf das, was uns Menschen umgibt, was unsere Fantasie beschäftigt und uns zu Reaktionen anregt. Immer häufiger erscheinen nun Tiere, Blumen und Sterne in den Grafiken, Plastiken und Rauminstallationen. Und bald schon schieben sich Märchenfiguren, die sich den Menschen eingeprägt haben, wie Rotkäppchen mit dem Wolf, in verblüffend naturalistischer Form ins Bild. Eines dieser Kindheitserlebnisse, das tiefenpsychologisch nachwirkt, scheint für Kiki Smith die Geschichte von "Alice im Wunderland" zu sein - und das vor allem der Zeichnungen wegen, die der Autor Lewis Carroll seinem Buch mitgegeben hat. In einer ihrer größten Radierungen hat Smith die nur 19 Zentimeter breite Originalzeichnung Carrolls vom "Pool of Tears" auf 190 Zentimeter Breite vergrößert, also die abgebildeten Figuren auf Lebensgröße gebracht und so das poetische Bild aus der Vergangenheit in die Gegenwart versetzt und in ihrem Werk verankert.

In der ältesten Arbeit der Ausstellung, den vier Linolschnitten mit dem Titel "How I know I'm here" von 1985, hat Kiki Smith mit einfachen Linien, die sie in den Linolgrund schnitt - sie ziehen sich auf dem Papier als weiße Striche durch den schwarzen Grund - die inneren Organe abgebildet und mit den Körperteilen, die uns sinnliche Eindrücke vermitteln, spielerisch verbunden. Das dabei erprobte System des Andeutens eines Gegenstands durch Umrisslinien ist seither das Hauptmittel vieler Arbeiten von Kiki Smith geblieben. Sie kann mit Strichen nahezu alles beschwören, was sich ihr zeigt. Und auch ihre plastischen und räumlichen Kreationen gehen fast immer von zeichnerischen Linien aus, die in den Raum projiziert werden oder einen Körper umschreiben. Farbe spielt dabei nur eine geringe Rolle.

In einem der eindrucksvollsten Radier-Zyklen hat Kiki Smith die Beileidsblumensträuße, die zum Begräbnis ihrer Mutter eintrafen, im leicht ramponierten Zustand, in dem sie sich nach den Feierlichkeiten befanden, aufs Papier gebannt und unter dem Titel "Touch" zu einem Kompendium des Mitgefühls und des Dahinsiechens verdichtet. Das Sterben der Mutter in der Klinik aber ist in einem Zyklus großformatiger schwarzer Holzschnitte eindrucksvoll ausschnitthaft angedeutet.

Neben den druckgrafischen Techniken, die sie ständig frech abwandelte, hat Kiki Smith aber auch die Fotografie und die ordinären Kopier- und Vervielfältigungstechniken in ihr kreatives System einbezogen und mit den klassischen Druckmethoden experimentell kombiniert. Und so wie sie mit Strichen auf der Fläche Plastisches andeuten kann, so versucht sie umgekehrt auch immer wieder Dreidimensionales auf die Fläche zu bannen.

Ein verblüffendes Zeugnis dieses Bemühens ist das Rundumporträt ihres eigenen Gesichts, das sie mit einer Kamera, die sich auf einer kreisförmigen Schiene um Objekte herumbewegt, aufgenommen und lithografisch höchst eigenwillig zur Fotogravüre mit dem Titel "My blue Lake" verarbeitet hat.

Touch. Prints by Kiki Smith, Pinakothek der Moderne München bis 26. Mai. Katalog (Verlag der Buchhandlung Walther König) 58 Euro .

© SZ vom 14.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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