Kunst und Migration:Freundschaftsbild

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Braucht es Kunstvermittlung im Museum? Unbedingt, meint eine Gruppe junger Flüchtlinge in Karlsruhe.

Von Eva Herzog

"Es ist komisch: Das Bild soll Freunde zeigen - und dabei schauen die Männer sich nicht an, so als würden sie sich gar nicht kennen." Der 18-jährige Abdurachme aus Eritrea schüttelt erstaunt den Kopf über ein unscheinbares Ölgemälde in Brauntönen. Es handelt sich um "Der Architekt Friedrich Eisenlohr im Kreise seiner Freunde" und wurde 1829 vom deutschen Porträtisten Friedrich Mosbrugger gemalt. Um den Tisch versammelt der Maler vier junge Männer bei Pfeife und Bier, eine junge Frau schenkt ein. Nachdenklich betrachtet Abdurachme das Bild.

Vor weniger als einem Jahr ist er aus Eritrea angekommen. In wenigen Ländern ist die Armut bitterer - für 2012 errechnete der IWF ein Bruttoinlandsprodukt von 550 US-Dollar pro Kopf. Und nirgendwo wird die Pressefreiheit weniger geachtet als in Eritrea: Das Land ist auch im Jahr 2015 wieder Schlusslicht der Rangliste von Reporter ohne Grenzen. Zuerst ist der junge Mann von Eritrea zu Fuß in den Sudan gereist, weiter dann mit dem Auto durch die libysche Wüste und im überfüllten Schlepperboot übers Mittelmeer. Eine beinahe klassische Route. Seit sechs Monaten kommt Abdurachme nun jeden Dienstagmorgen in die hohen, lichten Räume der Kunsthalle Karlsruhe, gemeinsam mit etwa fünfzehn anderen minderjährigen Flüchtlingen aus Syrien, Eritrea und Pakistan, die ohne Eltern oder Angehörige ankommen sind. Die jungen Männer sitzen auf Klapphockern vor dem kleinen Gemälde Mosbruggers, beugen sich nach vorne, hören zu.

Ein Theoretiker befürchtet, die Werke würden durch Programme zur Kunstvermittlung banalisiert

Das Projekt ist in Zusammenarbeit der Kunsthalle Karlsruhe mit der Gewerbeschule Durlach entstanden. "Wir hatten die Flüchtlingsklassen an der Schule und lange überlegt, was wir machen können, um ihnen etwas mehr von Karlsruhe zu zeigen", erzählt die Lehrerin Natascha Beyer. Mittlerweile haben sie schon viele bekannte Werke der Kunsthalle diskutiert, von einem Porträt Anselm Feuerbachs bis hin zur bunten Moderne eines Wassily Kandinsky.

Freundschaftsbild von Friedrich Mosbrugger (1829). (Foto: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe)

Dass engagierte Lehrer sich mit ihrem Anliegen ans städtische Kunstmuseum wenden, zeugt von einem Wandel in Außenwahrnehmung und Selbstverständnis der Museen. Längst versuchen die Häuser, das Bild des elitären Museumstempels hinter sich zu lassen und bieten umfangreiche Kunstvermittlungsprogramme an, für Kinder, Eltern oder Interessierte, die bisher wenig mit Kunst zu tun hatten. Angebote für die neu ankommenden Flüchtlinge sind bisher noch nicht sehr verbreitet.

Da mag die scharfe Kritik des Karlsruher Kunsthistorikers Wolfgang Ullrich im Ohr klingen. In der Zeit hatte er davor gewarnt, im Museum ein Instrument der Sozialpolitik zu sehen. Die florierende Kunstvermittlung sei Folge einer schwierigen Verbindung von Kunstreligion und Sozialdemokratie. Kunst werde banalisiert, im schlimmsten Fall unterwerfe man die Bilder einzig dem Vorwissen des Publikums, anstatt die Anforderungen des Werks zu akzeptieren. Kunst sei nun mal selten einfach, und es drohe, zu viel verloren zu gehen, wenn man nur an der Oberfläche kratze. Die Kunstvermittlung könne sich sogar negativ auswirken: Ullrich zitiert eine Studie, der zufolge arbeitslose Jugendliche ein "hochgradig präsentes Gefühl der sozialen Exklusion im musealen Raum" entwickelten, wenn nicht Wissen oder Interpretationen angeboten würden.

Petra Erler möchte nicht nur von den Höhen der Kunstgeschichte herab dozieren, sondern ins Gespräch kommen. Selbstverständlich sollen die Schüler viel erfahren über die Bilder des Museums, über die für sie neue Kultur, meint die Museumspädagogin. Aber einfach aufpfropfen könne man das nicht. Wer anknüpfen will, müsse die Erfahrungen des anderen ernst nehmen. Und dabei müsse nicht für jeden Betrachter der letzte kunsthistorische Winkel ausgeleuchtet werden. Als ein Junge bei der Pfeife im Bild erst mal übers Shisha-Café flachst, wird geschmunzelt. Ausgeschlossen fühlt sich hier jedenfalls niemand.

In dieser heiteren Atmosphäre übersieht man schnell, welche traumatischen Erfahrungen viele der Jugendlichen hinter sich haben. "Als wir mit dem Boot gekommen sind, das war so gefährlich", erzählt Abdurachme zögernd in erstaunlich wenig gebrochenem Deutsch.

Insgesamt merke sie aber viel weniger von fürchterlichen Erfahrungen der Jugendlichen als von einem starken Wunsch nach Ruhe, berichtet Erler. Es sei, wie wenn man Menschen in einem fernen Land kennenlernen möchte, man bekomme ein Gefühl dafür, was man ansprechen könne und was nicht. Bestimmte Motive wie dramatische Schiffsüberfahrten lasse sie lieber weg. Wie viele Betrachter projizieren die Jugendlichen erst einmal die eigenen Träume ins Bild: In einem Werk Kandinskys etwa haben viele Flüchtlinge Ruhe gesehen, Orte, an denen Menschen ungestört und in Frieden leben können.

Daneben aber wollen die jungen Männer viel wissen: Wofür malt man ein solches Bild? Was man damit sagen will? Was man aus der Kleidung der Männer folgern kann? Und was für eine Art von Freundschaft das denn sei? Erler erklärt, wie sich das Freundschaftsideal zu Zeiten Mosbruggers von dem heute gängigen Bild unterscheidet, spricht von Verinnerlichung und Innigkeit. Und sie fragt zurück: Woran man denn heute sehe, dass Menschen befreundet sind? Die etwa 15 jungen Flüchtlinge diskutieren angeregt. Man wäre mehr zusammen, würde dabei lachen, meint einer. Oder sich umarmen, fügt Abdurachme hinzu. Die Zuhörerin fragt sich, wie viele deutsche Klassen mit vergleichbarer Ernsthaftigkeit bei der Sache wären. "Wir haben viel gelernt über die Kultur eines anderen Lands", sagt einer. Und Abdurachme fügt begeistert hinzu: "Ich habe nie vorher Kunst gesehen, das erste Mal in der Kunsthalle."

Es geht nicht ums Nachstellen der Bilder. Sondern darum, dass sie jedem gehören, der sie anschaut

Gemeinsam mit den anderen bekommt er Kamera und Selfie-Stick in die Hand gedrückt. Denn im Anschluss an die Bildbetrachtung wird das Bild nachgestellt. In Grüppchen setzen sich die Jungen an die runden Bugholztische im Museumscafé und posieren, man denkt an die Tradition des Tableau Vivant, des lebendigen Bildes. Um naives Nachstellen geht es aber nicht, sondern darum, wie man sich darstellt. Die Selfies, die im Rahmen des Projekts entstanden sind, werden gemeinsam mit denen anderer Schüler Teil eines Ausstellungsprojekts in der Kunsthalle Karlsruhe sein. In der Ausstellung "Ich bin hier. Von Rembrandt zum Selfie" vom 31. Oktober bis 31. Januar soll es darum gehen, wie sich das Individuum in der Kunstgeschichte inszeniert hat, wie es sich selbst in Bildern sieht. Als letzter Künstler der Ausstellung wird Ai Weiwei präsentiert, der das Selfie zur Kunstform erhoben hat. Anschließend wird übergeleitet zur Selbstdarstellung heutiger Jugendlicher im Selfie.

Den Jugendlichen jedenfalls macht es sichtlich Spaß. Sie erzählen davon, was sie bisher in der Kunsthalle gemacht haben, zeigen Fotos von selbstgemalten Bildern und posieren gerne. Alle haben schon Pläne für die Zukunft. Einer hat ein Praktikum in der Kostümschneiderei der Oper gemacht und möchte Schneider werden, andere träumen von einer Anstellung bei Mercedes Benz oder einer Lehre beim Mittelstand im Umland. Auch Abdurachme hat bereits ein Praktikum gemacht und würde gerne eine Lehre anschließen. Ins Museum wird er immer wieder gerne zurückkommen, sagt er. Was auch immer die Theoretiker über Kunstvermittlung sagen: Ihm hat es gefallen.

© SZ vom 19.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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