Kunst und Gerechtigkeit:Schleichender Wandel

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Der Galerist und Kurator Seth Siegelaub hatte einst eine gute Idee zur fairen Künstlervergütung. Was ist von ihr übrig?

Von Moritz Scheper

Das Kunstsystem steckt voller Fehler, Ungerechtigkeiten und Machtasymmetrien. Soweit, so bekannt. Die härteste Währung ist das symbolische Kapital in Form von Verortung in Kontexten und Teilhabe an Netzwerken, immer mit dem Versprechen eines späteren Tauschs in Ruhm und richtiges Kapital, welches dann auch der Vermieter akzeptiert. Das Härteste an dieser Währung ist, dass nur wenige in den Genuss eines Umtausches kommen. Für alle anderen bleibt er ein ewiges Versprechen. Zumindest unter ökonomischen Gesichtspunkten, auch wenn sich der Wert künstlerischer Arbeit zum Glück nicht nur in Umsätzen bemessen lässt. Dennoch, ihren Lebensunterhalt müssen auch Kunstproduzenten bezahlen können.

1971, ein Jahr bevor er seine Galerie schloss und sich weitgehend aus dem Betrieb zurückzog, startete der Galerist, Kurator und Verleger Seth Siegelaub den Versuch, einige dieser Systemfehler nachhaltig zu korrigieren. Aufgeschreckt von einer Kontroverse um eine beschädigte Arbeit von Takis Vassilakis, die der Besitzer - das Museum of Modern Art - gegen den ausdrücklichen Protest des Künstlers ausstellte, suchte Siegelaub nach Möglichkeiten, die Verhandlungsposition der Künstler zu verbessern.

Abhilfe sollte ein Vertragswerk schaffen, das Siegelaub mit dem Rechtsanwalt Bob Projansky erarbeitete und gemeinfrei zur Verfügung stellte - das "Artist's Reserved Rights Transfer and Sale Agreement". Dieser als Artist's Contract oder auch Projansky Contract bekannt gewordene Vertrag sollte Klarheit schaffen zwischen Künstlern und Sammlern, indem er die Pflichten der Künstler über Auskünfte und Reparaturen festlegte, ihnen aber auch 15 Prozent der Überschüsse bei jedem Weiterverkauf sowie das Recht einräumte, jederzeit die eigene Arbeit für institutionelle Ausstellungen verleihen zu dürfen.

Mit dem Anwalt Bob Projansky erarbeitete er das „Artist’s Reserved Rights Transfer and Sale Agreement“: Seth Siegelaub 1969 in Manhattan. (Foto: Robert Barry)

Bei Künstlern, Museumsleuten und Galeristen ist der Vertrag heute nahezu vergessen. Erst 2014 machte sich die auf politische und institutionskritische Kunst spezialisierte New Yorker Galerie Essex Street daran, diesem Umstand mit der Gruppenausstellung "The Contract" abzuhelfen. Gezeigt wurden Arbeiten von neun Künstlern, darunter die aufstrebenden Youngster Jay Chung & Q Takedi Maeda, Marktliebling Wade Guyton oder Veteranen wie Hans Haacke. Gekauft werden konnte nur mit Artist's Contract, von dem ein großer Stapel in den Räumen bereitlag.

Obwohl das Ziel gewesen ist, den Vertrag wieder bekannter zu machen, veranschaulichte die Ausstellung unbeabsichtigt, wie schwierig es ist, ihn durchzusetzen. Außer Haacke arbeitet niemand der gezeigten Künstler mit dem Vertrag. Nicht einmal Maria Eichhorn, die bereits 1998 ein Ausstellungs- und Publikationsprojekt zum Artist's Contract initiierte und sich auch sonst in ihrer Arbeit mit der realitätformenden Kraft von Vertragswerken beschäftigt - man denke nur an ihre für die Documenta 11 entwickelte Arbeit "Aktiengesellschaft".

Genau das ist der springende Punkt: Als konzeptueller Dreh im Rahmen eines Ausstellungsprojekts findet der Contract Akzeptanz, nicht hingegen in der alltäglichen Geschäftigkeit des Kunstmarkts. Wie konnte dieser realpolitische Eingriff Siegelaubs so assimiliert werden, dass er nur mehr als Konzeptkunstwerk Relevanz hat?

Es wäre zu einfach, an dieser Stelle die üblichen Tiraden auf den obszönen Kunstmarkt oder das korrumpierte Galeriesystem loszulassen. Schließlich sind Larry Gagosian und Johan König nicht repräsentativ für ihren Berufsstand. Genügend Galeristen reiben sich für ihre Künstler auf, finanzieren ihre Galerietätigkeit quer oder wohnen sogar heimlich in ihren Galerien. Außerdem würden Galerien ebenfalls vom Artist's Contract profitieren, da Siegelaub vorschlug, die Galeristen ebenfalls an Weiterverkaufsmargen zu beteiligen.

Wollte die Verhandlungsposition der Künstler verbessern: Seth Siegelaub. (Foto: Marja Bloem)

Dass Galerien als Mittler zwischen Künstlern und Sammlern dennoch auf die Einführung des Artist's Contracts verzichten, hat vielleicht eher mit der vermeintlich lässigen Kunstweltattitüde zu tun, generell auf Verträge zu verzichten. So hat beispielsweise ein Schwergewicht wie die Kölner Galerie Buchholz, mit je einer Berliner und New Yorker Dependance, keine Verträge mit ihren Künstlern, obwohl darunter so illustre Figuren wie Isa Genzken oder Wolfgang Tillmans sind. Bei den Galerien ist das eher die Regel als die Ausnahme. Bitte keine Bürokratie, selbst wenn es längst um sieben- oder achtstellige Jahresumsätze geht. Verträge kommen meist erst ins Spiel, wenn es gilt, Nachlässe zu sichern.

Vielleicht ist es aber auch verkürzt, den Erfolg oder Misserfolg des Siegelaub'schen Vorstoßes an der tatsächlichen Verwendung des Contracts zu bemessen. Denn tatsächlich knüpfen inzwischen viele Galerien den Kauf an Bedingungen, die als Kleingedrucktes auf die Rechnung wandern und mit deren Begleichung akzeptiert werden - etwa Weiterverkaufssperren von fünf bis zehn Jahren oder eine Verpflichtung, die Arbeiten für Museumsausstellungen zur Verfügung zu stellen. So sichern sich Produzenten ein gewissen Einfluss auf die zukünftige Verwendung des Werkes, eines der beiden zentralen Anliegen des Contracts.

So sind etwa Daniel Buren und Cady Noland dafür bekannt, bei der kleinsten Verletzungen der festgelegten Bedingungen für Präsentation und Kontextualisierung ihre Autorschaft zurückziehen. In dieser Hinsicht lässt sich schon behaupten, dass Siegelaub einen schleichenden Kulturwandel auf den Weg gebracht hat.

Weit weniger erfolgreich war hingegen die Durchsetzung des zweiten Anliegens des Vertragswerks, die Produzenten und Galerien an Gewinnen auf dem Zweitmarkt zu beteiligen, also an allen Weiterverkäufen. Juristisch wurde schnell deutlich, dass eine vertragliche Verpflichtung zur Beteiligung des Urhebers nur für den ersten Weiterverkauf durchzusetzen ist, da Künstler und Galerie zu allen späteren Besitzern kein Vertragsverhältnis unterhalten. Alles Weitere liegt in der Verantwortung der Gesetzgeber.

Zumindest in Europa profitieren Künstler seit 2006 im niedrigen einstelligen Prozentbereich von der Wertsteigerung ihrer Arbeit. Grund ist das in Deutschland bereits seit den Siebzigerjahren installierte, durch zahlreich Ausnahmen eingehegte Folgerecht. Außerhalb Europas, insbesondere in den USA, fehlt es jedoch nach wie vor an solchen Modellen. Dennoch tröpfelt die von Siegelaub losgetretene Diskussion über Umwege langsam in den Mainstream, nicht zuletzt durch die großen institutionellen Ausstellungen von Noland oder Adrian Piper, die immer wieder ihre Deutungshoheit über ihre Werke durchboxen - vor Gericht, auf Grundlage unterschriebener Verträge.

© SZ vom 29.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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