Kunst:Tim Walker

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Von Sonja Zekri

Man hat die blauen Schafe und rosa Katzen hinter sich gelassen und auch die Elefanten auf Stelzen, hat Porträts von Tilda Swinton mit schwindelerregenden Frisuren und überraschend schlichte Aufnahmen von Willem Dafoe passiert, und erreicht schließlich das Land der lebenden Männer. Die Fotografien "The Land of the Living Men" des Modefotografen Tim Walker im Londoner Victoria & Albert Museum zeigen keine Models in wulstigen Verpuppungen oder sichelscharfen Schleppen, sondern den konsequenten Gegenentwurf zum Textilrausch im Rest der Schau: nackte Männer. Einem Model liegen ein paar Äpfel im Schritt, aber die gehen beim besten Willen nur als Accessoires durch. Einer betrachtet einen Vogel, ein anderer schleppt einen Nackten fort wie Beutegut. Tim Walkers Bilder sind schwul-bukolische Vanitas-Arrangements mit Hase und Hochspannungsmasten in englischer Landschaft, und erst der dezente Bruch, der nadelfeine Abgrund in den Szenerien macht sie als Traumbilder vollkommen. "Wonderful Things" (bis 8. März 2020) ist eine Retrospektive und zeigt die surrealen Bilderwelten, für die Walker berühmt ist: Meerjungfrauen, Models auf Pferden in prächtigen Schlössern. Für zehn neue Fotoserien aber tauchte er mehr als ein Jahr lang in die Schatzkammer, Tunnel und Gänge des Victoria & Albert ein und ließ sich von entlegenen, zuweilen nie gezeigten Werken oder Objekten inspirieren. Die Idee zu der Feier der Männlichkeit etwa kam ihm durch den frühen Fantasy-Roman "Das Land der lebenden Männer" des Dichters, Textildesigners und Sozialisten William Morris aus dem Jahr 1891. Ein Holzkästchen aus dem Jahr 1675 gab den Anstoß zu einer Serie über die Londoner Clubs. Damals hatte ein Mädchen einen verzauberten Garten mit Miniaturfiguren zum Zuklappen gebaut. Es war eine Welt, in der alle Fantasien erlaubt waren, so Walker, ganz ähnlich wie in den Clubs, für die er in seiner Serie "Box of Delights" einen Garten mit Einhörnern und Plastikpflanzen bauen ließ. Er habe ein beinah obsessives Verhältnis zur Schönheit, hat Walker einmal gesagt. Auch ohne diesen Defekt kann man "Wonderful Things" als Abwehrzauber gegen die Schrecken der Gegenwart erleben.

© SZ vom 30.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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