Kunst:Stahlverwandtschaften

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Im vergangenen Jahr ist der Bildhauer Alf Lechner gestorben. Gleich mehrere Ausstellungen erinnern derzeit an das Werk des großen Künstlers. Eine treibende Kraft ist Daniel McLaughlin, sein Sohn

Von Sabine Reithmaier

Eigentlich sei es lange der Wunsch des Vaters gewesen, eine Ausstellung über seinen Lehrer Alf Bachmann zu machen, sagt Daniel McLaughlin. Aber dann reichte die Kraft nicht mehr aus. So blieb es dem Sohn überlassen, ein gutes Jahr nach dem Tod Alf Lechners dessen Willen zu erfüllen und die Werke Bachmanns in Kombination mit dem malerischen Frühwerk des Vaters zu zeigen.

Im Erdgeschoß des Ingolstädter Lechner-Museums prallt der Besucher aber erst auf einen zunächst undurchdringlich wirkenden Stahlwald. Ein Dickicht aus lauter Doppel-T-Trägern - andere sehen vielleicht auch eine Miniatur-Stadt darin. "Labyrinth" nennt sich die begehbare Rauminstallation, die in einer kleineren, "Schnittfeld" genannten Version hier schon 2007 präsentiert wurde. Damals stellte Lechner 69 Elemente auf, sein Sohn platzierte - nach Skizzen des Vaters - jetzt 101. In den stählernen Gassen verläuft man sich zwar nicht, aber man kann sich geborgen oder - je nach Stimmung - beengt fühlen. Die Mitte erreicht man nie, alle Wege münden in einer Sackgasse.

Dem Werk des bayerischen Künstlers kann man sich derzeit unterschiedlich nähern: Auf ein "Labyrinth" aus Doppel-T-Trägern trifft man im Ingolstädter Lechner-Museum. (Foto: Alf Lechner Stiftung, Studio Hetzer)

Eigentlich sind die Doppel-T-Träger zwischen 15 und 16 Meter lang. Lechner ließ die Stahlprofile auf 169 Zentimeter zuschneiden. Die meisten Besucher überblicken also alles, ohne freilich einen Grundriss oder den Rhythmus der Anordnung erkennen zu können. Auch wenn der zweifellos vorhanden ist. Gelenkter Zufall hatte der Kunsthistoriker Jens Christian Jensen dieses Lechnersche Konstruktionsprinzip einmal genannt.

Im Obergeschoss dann das totale Kontrastprogramm: Ölbilder und Pastelle mit Bergen, oberbayerischen Seen, aber auch fernen Landschaften, Meer und Dünen. Alf Bachmann und Alf Lechner wohnten im selben Haus. Sie lernten sich kennen, als der 15-jährige Lechner im Jahr 1940 an die Tür des erfolgreichen Landschaftsmalers klopfte und ihn bat, ihm zu zeigen, wie man einen Baum zeichnet. Bachmann (1863 bis 1956) war damals 77 Jahre alt, aber die beiden müssen sich schnell sehr gemocht haben. Alf Lechner unterstrich zeitlebens, dass es Bachmann gewesen sei, der ihn genaues Beobachten und analytisches Denken gelehrt habe. Der Maler beherrschte sein Handwerk - das bezeugen seine Bilder. Meisterhaft hielt er flüchtige Momente fest, Stimmungen, die sich innerhalb von Sekunden wieder auflösen. Sicher ein Maler, der die Kunstgeschichte nicht vorwärts katapultierte, aber perfekt in seinem Metier. Allein 180 unterschiedliche Grautöne enthält der Pastellkreidenkasten, den er seinem Schüler schenkte.

Im Obergeschoss hängt das Frühwerk, darunter ein Blick aus seinem Fenster in der Mandlstraße. (Foto: Alf Lechner Stiftung, Studio Hetzer)

Lechner ahmt ihn anfangs nach. Er ist 17, als er 1942 die nebelverhangene Zugspitze malt. Andere bayerische Landschaften folgen, manche ähneln Bachmanns Werken bis ins Detail, in anderen agiert der junge Lechner deutlich freier. Seine fragilen Pastelle sind auf Kartons befestigt. Sie wirken in ihren weißen Rahmen wie kleine Objekte, unterscheiden sich allein dadurch schon von den goldgerahmten Werken des Lehrers. Das gemeinsame Malen setzt sich fort, als Lechner aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrt und 1943 Bachmann im Bierbichler-Haus am Starnberger See besucht. Vom Krieg und seinen Folgen ist in all den Bildern kein Hauch zu spüren, nicht einmal in der düster verregneten Maximilianstraße, die Lechner 1946 als Geburtstagsgeschenk für den Vater malt. Leuchtend gelingt ihm der Blick in den Englischen Garten von seiner Wohnung in der Mandlstraße aus.

Gegenüber der ehemaligen Wohnung Lechners steht vor der Katholischen Akademie eine massive titellose Skulptur (2015). (Foto: Katholische Akademie)

Vermutlich blieb allein der Adresse wegen der Katholischen Akademie Bayern nichts anderes übrig, als ebenfalls eine Ausstellung zu veranstalten. Schließlich wuchs der Bildhauer in der Mandlstraße 24 auf, gleich gegenüber der damals noch nicht vorhandenen Akademie. Als sie 1962 eröffnete, zog Lechner gerade nach Degerndorf am Starnberger See um. Er zog einen Schlussstrich unter seine erfolgreiche Karriere als Designer, verkaufte die Lichttechnikfirma, mit der er viel Geld verdient hatte und wandte sich der Kunst zu. Mit einem Material, dessen Sprache ihm zeitgemäßer schien als Pastellkreide: dem Werkstoff Stahl, den er in allen Aggregatszuständen zu erforschen begann.

Der Stahlbildhauer Alf Lechner. (Foto: Alf Lechner Stiftung)

Im Außenareal der Akademie stehen drei Arbeiten aus der letzten Werkgruppe Lechners. Bis zum Schluss beschäftigte er sich mit doppelten Würfelschnitten. 150 Stahlmodelle hat er hinterlassen, nur wenige setzte er noch um. In den Innenräumen hängen Collagen und die "Klavierdeckelzeichnungen", die, 1914 in der Villa Massimo entstanden, von seiner Auseinandersetzung mit geometrischen Körpern zeugen. Den Klavierdeckel nutzte er übrigens nur als Lineal für die großformatigen Blätter.

Würfel beherrschen auch den Raum im Erdgeschoss der Landshuter Galerie "Laprojects". Massiv, geschmiedet und gesägt auch sie, aber im vergleichsweise handlichen 20 auf 20-Zentimeter-Format. Galerist Jörg Ludwig wollte die Ausstellung, die erste in Niederbayern, erst "Gegen zurückweichenden Widerstand" nennen, um auf Lechners lebenslanges Ringen mit dem Stahl hinzuweisen. Der Bildhauer hatte diesen Titel für eine fabelhafte Grafitstiftzeichnung gewählt. Jetzt hängt sie im ersten Stock; dort steht man staunend vor den Blättern der Serie "Abreibung" und wüsste zu gern, wie Lechner den grau-weiß schimmernden Effekt erzielt hat. Die Ausstellung heißt nun "Lust und Kalkül", was gut passt. Schließlich ging es Lechner um das Verhältnis von Technik und Kunst, Kalkül und Zufall.

Drei Ausstellungen im Jahr nach dem Tod des Vaters - Daniel McLaughlin, Sprecher der Lechner-Stiftung, kann fürs erste zufrieden sein. Er hat große Pläne für die Zukunft des Ingolstädter Museums. "Ich möchte dem Haus Relevanz verschaffen und es für andere Künstler öffnen." Dass es ihm gelingt, die Attraktivität des Museums zu steigern, ist zu erwarten. Acht Jahre in der New Yorker Galerie Cheim & Read, zwei Jahre als Leiter des Gallery Relations Team der Art Basel - McLaughlin verfügt über genügend Netzwerke. Kontakte hat er bereits geknüpft, Namen will er noch nicht nennen. Derzeit überarbeiten er und Mutter Camilla Lechner gerade das Werkverzeichnis und erfassen die mehr als 80 Lechner-Skulpturen, die im öffentlichen Raum stehen.

Landshut erhält dank eines Sponsors in den nächsten Wochen auch eine große Lechner-Skulptur. Voraussichtlich wird sie Anfang Juni zwischen den zwei Isararmen auf der Hammerinsel als Leihgabe der Lechner-Stiftung für ein Jahr installiert. Am besten zu erleben sind die Werke Lechners aber immer in seinem Skulpturenpark in Obereichstätt. Und das, sagt sein Sohn, werde auch so bleiben.

Alf Bachmann - Alf Lechner: Himmel Wasser Stahl , bis 9. Sep., Lechner Museum Ingolstadt; Alf Lechner: Kraft Körper Form , bis 9. Sep., Katholische Akademie Bayern, Mandlstraße 23, München; Alf Lechner: Lust und Kalkül , bis 30. Juni, Galerie Laprojects, Kirchgasse 239, Landshut

© SZ vom 19.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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