Kunst & Politik:Die Systemgesten-Forscherin

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In Hamburg führt die Künstlerin Bani Abi in ihren nie allzu ernsten Foto- und Videoarbeiten vor und ad absurdum, wie die Mächtigen ihre Völker durch erzwungene Untätigkeit demütigen.

Von Till Briegleb

Warten ist die Daumenschraube des Geistes, die jede anständige Autokratie einsetzt. Warten auf Dokumente, warten auf Essen, warten auf Antwort.

Die demütigende Prozedur, der Bevölkerung ihre Ohnmacht zu zeigen, schätzt jede Bürokratie weit höher ein als den Verlust an Produktivität, den die erzwungene Untätigkeit der Menschen vor Schaltern bedeutet. Denn die Botschaft dieser Beschämungsstrategie verinnerlicht jeder: Wer warten muss, der ist nichts.

Mit diesem System der Entmündigung und Degradierung baut man jene lähmenden Klassensysteme auf, die links oder rechts, arabisch, chinesisch, russisch oder pakistanisch sein können, aber immer gleich aussehen. Eine Elite, die mit Polizeikohorten über abgesperrte Straßen rasend ihre Macht und Dynamik demonstriert, und eine wartende Bevölkerung, die ihren Grimm hinter Gittern oder Uniformketten, in Warteschlangen oder Wartesälen in Duldsamkeit erstickt.

Abidi kitzelt in ihren Arbeiten das Groteske aus den Selbstinszenierungen des Staates

Diese Konstellation ist das Thema von Bani Abidi. Die pakistanische Künstlerin, deren Einzelausstellung im Hamburger Kunsthaus jetzt eröffnet wurde, kitzelt in ihren Video- und Fotoarbeiten das Groteske aus den Selbstinszenierungen des Staates, die längst in Ritualen erstarrt sind. In "Reserved" lässt sie einen fiktiven Machtmensch-Korso durch Karachi rasen, auf menschenleeren Straßen, mit Motorrädern vorne und einem Soldaten-Lkw im Schlepptau. Das kennt man von Putin, wenn er morgens von seiner Datscha in den Kreml zur Arbeit fährt, so benehmen sich die Kim Jong-uns dieser Welt, und im Westen wird in dieser Form jeder Staatsbesuch begangen.

Aber bei Bani Abidi ist von der protzigen Machtgeste nicht viel mehr übrig als misslungene Hoffart. Trotz Mercedes wirkt der rasende Korso irgendwie läppisch, die Kinder in Schuluniform am Straßenrand mit ihren bunten Wimpeln langweilen sich zu Tode beim Warten auf den Ehrenmensch und rennen schließlich geschlossen dem Langnese-Mann nach. Mit Rosetten geschmückte Offizielle in viel zu großen Anzügen tun beim Warten mächtig wichtig und sind trotzdem nicht weniger Marionetten eitler Macht als die Bürger in ihren Tuk Tuks, Subarus und Rikschas, die hinter einem blauen Absperrgitter gefühlte Stunden darauf warten, endlich die Straße überqueren zu dürfen.

Und weil dieser Zustand sich wohl täglich an vielen Stellen verlängert, findet er in Bani Abidis Arbeit "Reserved" auch keine Auflösung. Der Korso kommt nie ans Ziel, die Masse, die raucht, sich mit dem Autoschlüssel in den Ohren pult oder Werbeblättchen von vorne nach hinten liest, entwöhnt sich niemals ihrer Geduld, die Kinder erfüllen nie den bestellten Jubel. Sowenig, wie die Wartenden in dem Video "The Distance From Here" einer Bearbeitung ihrer Anliegen wirklich nahekommen.

Lange Schlangen von Menschen, die wie ein Bevölkerungsquerschnitt Pakistans vom Strenggläubigen bis zum Hipster wirken, müssen durch hölzerne Metalldetektorattrappen, zwischen gelben Linien auf einem sonnigen Hof Aufstellung nehmen, die nach absurden Ländergruppen sortiert sind (etwa Italien, Oman, Taiwan), um schließlich in einem bestuhlten Saal auf irgendeine Bestätigung zu warten - in den Händen die unterschiedlichsten Dokumentenmappen aus farbigem Plastik, die in einer ergänzenden Fotoserie als Mahnmale verlorener Lebenszeit porträtiert sind.

Abidi, die auf der letzten documenta eine Videoinstallation über den Bestellvorgang eines Politikerdenkmals durch den Politiker selbst gezeigt hatte, das vor allem aus einem Beratungsgespräch im Künstleratelier zur richtigen Herrschaftspose bestand, spürt dem Grotesken des Misstrauensstaats aber auch im Seriellen nach. So liefert sie in Hamburg eine Inventur des pakistanischen Security-Designs. Diverse Typen von Gegensprechanlagen und Verkehrsbarrieren werden zu Tableaus gruppiert, die das Industriedesign des Personenschutzes als banale Produkte zeigen, aber eben auch als Konsumobjekte der Angst.

Weltrekordversuch: Mehr als 150 Walnüsse in einer Minute mit einem Kopfstoß zu öffnen

Nur zu ernst darf es bei der mittlerweile in Berlin lebenden Systemgestenforscherin auch nicht werden. Das Eröffnungsvideo "An Unforeseen Situation", ihre neueste Arbeit, erzählt die fiktive Geschichte eines jungen Mannes, der eigentlich an einem staatlichen Weltrekordversuch für das Guinnessbuch teilnehmen wollte. 150 000 Menschen sollten zum Glanz der Nation und ihrer Führer gemeinsam die Nationalhymne Pakistans singen. Leider scheitert die Organisation an der Ineffizienz eines im Abwarten geschulten Staatsapparates, was den jungen Mann aber nicht entmutigt, daraufhin seinen eigenen Weltrekordversuch zu planen: Mehr als 150 Walnüsse in einer Minute mit einem Kopfstoß zu öffnen. Warten wir's mal ab, ob das gesünder ist, als eine Daumenschraube im Kopf.

Kunsthaus Hamburg, bis 30. Oktober 2016

© SZ vom 08.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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