Kunst:Mensch, Maschine, Medium

Lesezeit: 3 min

Nur wenige haben ein für die jüngere Kunstgeschichte so einflussreiches Werk hinterlassen wie der Videokunst-Pionier Nam June Paik.

Von Catrin Lorch

Der Bildschirm zeigt eine schmale, weiße Linie. Sie zerteilt den Monitor vertikal und wirkt ein bisschen grisselig. Die Installation "Zen for TV" besteht aus nicht mehr als einem schwarzen Fernseher, der seitlich gekippt wurde und und deswegen kein Bild mehr zeigen kann. Die schnelle Zerstörung führt zu einer sichtbaren, ungestörten Ruhe - und der Moment, in dem der Künstler Nam June Paik im Jahr 1963 einen Röhrenmonitor in eine Installation verwandelte, ist einer der bedeutendsten Momente der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts.

Es ist die Geburtsstunde von Videokunst und Medien-Installation und nur wenige Künstler - etwa Marcel Duchamp oder Joseph Beuys - dürften ein für die Kunstgeschichte so einflussreiches Werk hinterlassen haben wie der Koreaner Nam June Paik, dessen Werk derzeit als Retrospektive "Nam June Paik" um die Welt geschickt wird. Nach ihrer Vernissage in der Tate Modern in London (wo sie während des Corona-Lockdowns kaum Besucher fand) gastiert sie derzeit im Amsterdamer Stedelijk Museum, bevor sie nach Chicago, Los Angeles und Seoul reist.

Eine weltweite Retrospektive, für die bedeutende Museen kooperieren, passt zum Werk des im Jahr 1932 im koreanischen Gyeongseong geborenen Paik, das sich zwischen Seoul, Tokio, Düsseldorf, Köln und New York entfaltete, wie es gleichermaßen in der Musik, der Poesie, Philosophie, Wissenschaft und Kunst wurzelt.

Der unter japanischer Besatzung in Korea geborene Paik wuchs als Kind einer privilegierten Familie auf und war deswegen früh auch mit Musik und Literatur der westlichen Moderne vertraut. Seine Promotion schrieb er über Arnold Schönberg bevor er in den Fünfzigern ein Studium der Kunst- und Musikgeschichte in München aufnahm. Doch wurden ihm die Darmstädter Sommerkurse für Neue Musik zum prägenden Erlebnis, über die er einen Bericht für ein japanisches Musikmagazin schrieb ("Das Bauhaus der Musik"), und erstmals Cage entdeckte, dessen grafische Notenbilder den Beitrag illustrierten.

"Zen for TV" wurde erstmals 1963 in der Wuppertaler Galerie Parnass gezeigt

Sein erster Auftritt als Künstler sollte dann dem Komponisten gewidmet sein: "John Cage: Music for Audiotapes and Piano" hieß die Performance, die 1959 in einer Düsseldorfer Galerie aufgeführt wurde.

Da lebte Nam June Paik schon in Köln, arbeitete im Studio für Elektronische Musik des Westdeutschen Rundfunks und fand über Karlheinz Stockhausen und dessen Frau, die Künstlerin Mary Bauermeister, Aufnahme in der rheinischen Fluxus-Szene. "Zen for TV", der gekippte Fernseher, hatte dann im Jahr 1963 bei einer Ausstellung in der Wuppertaler Galerie Parnass Premiere.

Die Poesie der handgebastelten, zutiefst dem Zen verpflichteten Werke aus dieser Zeit gibt den ausgreifenden, wagemutigen Installationen des Werks ein festes Fundament. Dass die Kuratoren Zeichnungen, Konzeptpapiere und Plakate aus dieser Zeit in Vitrinen ausbreiten, stellt den Einfluss der rheinischen Kunst-Szene dieser Epoche noch einmal an den Anfang des einflussreichen Werks.

Der Video-Pionier wird nach New York weiter ziehen, wo er Angebote von Bell-Lab, dem bedeutendsten Experimental-Labor der Zeit, annimmt und Mensch und Medium zusammen bringen - hatte er zu Fluxus-Zeiten kleine Monitore an Brillen montiert oder in den BH seiner künstlerischen Komplizin Charlotte Moorman, einer Cellistin, eingearbeitet - so streute er nun Fernseher nicht nur zum "TV-Garden" (1974 bis 1977) zusammen, sondern stapelte sie zu roboterhaften Figuren, Ornamenten oder dem Brandenburger Tor. Die Werkschau, die bedauerlicherweise nicht in Deutschland Station macht, akzentuiert den Weltbürger, der zwischen Seoul, Tokio, Düsseldorf und New York seine "Arenas" aufschlug und Kooperationen mit Menschen und Laboren, Werkstätten und Sendern anbahnte und sich um Nationen oder Ländergrenzen nicht groß scherte. Seine Vorbilder waren Dschinghis Khan und Marco Polo - und Entfernungen eigentlich nur dazu da, technisch überbrückt zu werden.

Die Technik ist sichtbar gealtert

Während die Nam June Paiks Kunst immer noch überraschend farbig und überwältigend wirkt, ist die Technik sichtbar gealtert. Wuchtige Kästen, in denen die alten Bildröhren untergebracht waren, habe nicht mehr viel mit den flachen Displays zu tun, die auch längst nicht mehr im Querformat angeschaut werden.

Es sind in der Schau die einfachsten Werke, die am überzeugendsten bleiben: ein schwarzer, nackter Buddha aus schwarzem, speckig glänzenden Stein, der ruhig auf einen Monitor blickt, auf dem eine Kamera seinen Körper einfängt. Niemand hat die Nähe zwischen Mensch, Maschine und Medium so früh erkannt, wie der Künstler, der in einem "Global Groove" schon 1973 Tänzer auf der ganzen Welt in einem Live-Stream verschaltete.

Eine seiner schönsten Installationen ist die "Sixtinische Kapelle", als Paik gemeinsam mit dem ebenfalls in New York lebenden deutschen Künstler Hans Haacke den deutschen Pavillon in Venedig bespielte und mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde. Eine Konstruktion aus Gerüststangen, die schwer an Videotechnik, Monitoren und Projektoren tragen, dabei aber doch leichthändig und ungeheuer strahlend wirken.

Nam June Paik. Im Stedelijk Museum, Amsterdam, bis 4. Oktober. Danach in Chicago, San Francisco und Singapur. Der Katalog kostet 29,90 Euro.

© SZ vom 20.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: