Die letzten Tabus in der Kunst? Sex wird es nicht sein. Geld auch nicht, alles abgehakt. Aber so ein knapper Satz wie "Love Your Work", den möchte man als Künstler nicht zitiert wissen. Weil es der kleinste Nenner ist, auf den Vernissagen-Gäste ihr Desinteresse bringen. Eine Grußformel, die übersetzt nicht mehr bedeutet als ein "Like": "Kann nicht viel damit anfangen, findet auch sonst keiner wichtig, aber weil du aus irgendeinem Grund dazu gehörst, verderbe ich dir jetzt nicht die Party." Rochelle Feinstein hat den Satz aufgegriffen und jahrelang an der Bilder-Serie "Love Vibe" gemalt. Sie ist eine, die viele Jahre auf genau diese Art dazugehört hat. 1947 in New York geboren, damit beginnt ihre Vita, die nicht eben viele Solo-Shows verzeichnet oder wenigstens Einladungen zu Gruppen-Ausstellungen.
Anerkannt war Feinstein nur, weil sie als Lehrerin in Yale Malerei und Drucktechnik lehrte. Yale ist die bedeutendste Akademie der USA. Viele ihrer ehemaligen Schüler schätzten sie sehr, aber nicht einmal sie konnten präzise ausdrücken, warum eigentlich. Klar, die "Flag" war berüchtigt. 1993 hatte Feinstein ein schmuddeliges Küchentuch auf eine Leinwand geklebt und dessen Karo in krakeligen, grell-orangefarbenen Linien bis an die Ränder des Gemäldes verlängert ausgemalt. Klingt schräg? Mehr als das: Pure Anmaßung war das aus der Sicht der amerikanischen Kunsthistoriker. Wer in deren Kanon etwas zählen will, tut gut daran, sich mit respektvolleren Ansagen zum Thema abstrakter Expressionismus oder Pop Art hervorzutun, statt als unbekannte Malerin sich an eine Version der Ikone der amerikanischen Kunstgeschichte zu wagen, nämlich Jasper Johns "Flag", einer exakten Kopie der US-Flagge aus den Fünfzigerjahren. Feinstein lässt nicht viel übrig vom Star-Spangled Banner, bestenfalls erinnert ihr Bild an einen schmuddeligen Mallappen, womöglich noch an unerledigte Hausarbeit.
Bestenfalls erinnert ihre "Flag" an schmuddelige Mallappen. Oder an unerledigte Hausarbeit
Die Malerin legte noch nach, kleckerte weiße, hochglänzende Farbe auf eine Leinwand in kratzigem Graubraun und gab dem verlaufenden weißen Quadrat als Assoziation mit, dass es sie auch an ein geplatztes Kondom erinnere. Was klarmacht, dass Feinstein gar nicht vorhat, den feingeistigen Überlegungen noch viel hinzuzufügen, die Kasimir Malewitschs Quadrate und New Yorker Abstraktionen einst angestoßen haben. Und dass man auf einen Klecks aus ganz unterschiedlichen Perspektiven schauen kann - ein kollabiertes Präservativ bedeutet für die Frau etwas anderes als für den beteiligten Mann.
In den frühen Neunzigern gab es in den USA aber weder einen Markt noch einen Diskurs, in dem man die Ironie, die Finesse und die Doppelbödigkeit so eines Werks hätte schätzen können. In Europa, beispielsweise in Köln, hätte man das verstanden. Vorgebildet durch Sigmar Polkes Stoffe, sensibilisiert von Rosemarie Trockels Strickbildern und Herdplatten, hätte sich das Publikum sofort an den Tonfall Martin Kippenbergers erinnert gefühlt - spätestens die unbekümmerte Malerei der Jahrtausendwende hätte eine wie Rochelle Feinstein umarmt. Hätte. In New York dagegen: weiter malen im Atelier. Weiter unterrichten an der Akademie.
Ausgerechnet die Wirtschaftskrise im Jahr 2008 sollte für Feinstein alles verändern. Da konnte sie sich nur noch die halbe Lagerfläche leisten. Und unterzog alles, was dort angehäuft war, einer harten Bearbeitung. Schnitt Leinwände aus den Rahmen, bastelte neue Arbeiten daraus. Und lud - als sei sie schon tot - zu einer Ausstellung ihres eigenen Nachlasses in die On Stellar Rays Gallery ein. Mit einer zusammengestückelten Rest-Leinwand, einem Patchwork, auf dem mit großen Buchstaben der "Estate of Rochelle F." annonciert war.
Um zurück zum Tabu zu kommen: Mehr geht nicht. Man kann als Künstlerin eher thematisieren, wessen Kondom da gerade unter den Laken ausläuft, als zugeben, dass noch so viel Leinwand da ist; liegen geblieben, unverkauft, ungesehen. Die großen Sprechblasen ihrer Gemälde "Love Your Work", die erinnern natürlich an Andy Warhols Comicbilder - aber als Pop-Ikone mit feinem Gehör hätte der nie, nie, nie darauf angespielt, dass auf Vernissagen die Produktion seiner Factory womöglich mit Redewendungen abgetan wird.
Der Mut dieser Jahre führte jedenfalls dazu, dass Rochelle Feinstein - endlich - gesehen wird, verstanden. Und dass sie doch noch als bedeutende Malerin gelten wird - zumindest in Europa. Denn am Münchner Lenbachhaus hat die Kuratorin Stephanie Weber ihr jetzt eine erste Museums-Retrospektive gehängt, die von da aus an die Kestner-Gesellschaft in Hannover reist. Die letzte Station ist die spannende, das Bronx-Museum hat Interesse angemeldet. New York wird sie zu lieben lernen.
Rochelle Feinstein . I Made a Terrible Mistake, Lenbachhaus, München. Bis 18. September. Der Katalog kostet 32 Euro.