Kunst in der DDR:Von Nischen und Devisen

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Ostdeutsche Kunst stößt auf wenig Interesse - außer bei Mauerfalljubiläen. In der DDR gab es einen "sozialistischen Kunsthandel", aber auch Widerstand dagegen.

Von Kito Nedo

Es gibt viele Arten, das historische Jahr 1989 zu feiern. Frank-Walter Steinmeier entschied sich bereits Ende August für eine starke symbolische Geste: zur Feier der ostdeutschen Demokratiebewegung hängte sich der Bundespräsident fünf großformatige, in der DDR entstandene Gemälde von den Künstlern Hartwig Ebersbach, Günter Firit, Angela Hampel, Harald Metzkes und Trak Wendisch ins Schloss Bellevue. Es handelte sich dabei größtenteils um Leihgaben aus öffentlichen Sammlungen in Potsdam, Halle/Saale, Dresden und Berlin. Die Ausstellung sei so zu verstehen: "als Verbeugung vor allen, die im Jahr 1989 den Mut aufgebracht haben, auf die Straße zu gehen", so Steinmeier. Die Aktion kennzeichnet eine erstaunliche Wendung. Vor zehn Jahren etwa verzichteten die Kuratoren der Ausstellung "60 Jahre / 60 Werke" im Berliner Martin-Gropius-Bau unter der Schirmherrschaft von Angela Merkel noch gänzlich auf Künstlerinnen und Künstler aus Ostdeutschland.

Wirkt diese neue Anerkennung nun auch in den Markt? Nach der Sache mit Steinmeier habe er noch kein verstärktes Kaufinteresse registriert, erklärt Rüdiger Küttner, der gemeinsam mit seiner Frau Ulrike Küttner und seinem Partner Rainer Ebert die auf ostdeutsche Kunst spezialisierte Galerie Berlin in der Auguststraße in Berlin-Mitte betreibt. Von der 1990 gegründeten Galerie werden mit Hartwig Ebersbach, Harald Metzkes oder Trak Wendisch immerhin drei Künstler vertreten, deren Werke nun für ein Jahr im Schloss Bellevue ausgestellt sind. Auch nach der Eröffnung der Ausstellung "Utopie und Untergang" mit Kunst aus der DDR, die derzeit im Düsseldorfer Kunstpalast läuft - etwa mit Kunst von Willi Sitte (1921-2013) und Bernhard Heisig (1925-2011), mit deren Bildern Küttner ebenfalls handelt -, habe sich der Umsatz nicht gesteigert. "Aber das sind natürlich gute Argumente", sagt der Galerist, dessen Künstlerstamm aus historischen Gründen fest in der DDR-Zeit verwurzelt ist. Immerhin, so Küttner, handle es sich bei der Düsseldorfer Schau um die erste große Ausstellung mit Kunst aus der DDR in einer westdeutschen Institution seit dreißig Jahren. Den Begriff "DDR-Kunst" lehnt der Galerist übrigens ab, viel lieber spricht er von "ostdeutscher Kunst".

Der Staatliche Kunsthandel war auch im Westen aktiv, um harte Währung zu verdienen

Bis 1990 arbeitete Küttner als Direktor des Staatlichen Kunsthandels der DDR (SKH), einer 1974 gegründeten volkseigenen Handelsorganisation, die dem DDR-Kulturministerium unterstand. Der Auftrag lautete: "Aufbau des sozialistischen Kunsthandels" - zu diesem Zweck wurden republikweit Ende der Achtziger nicht nur 40 Galerien für Gegenwartskunst betrieben, sondern auch Antiquitäten- und Münzgeschäfte, drei Münzauktionshäuser, Briefmarkengeschäfte, Briefmarkenauktionshäuser und Werkstätten für Keramik, Druckgrafik, Restaurierung, Plastikguss und Textilhandwerk. Obwohl der Fokus auf dem Inland lag, war der Staatliche Kunsthandel auch im Westen aktiv, um harte Währung zu verdienen. Dort kooperierte man mit dem Außenhandelsbetrieb Kunst und Antiquitäten GmbH (KuA) des Bereichs Kommerzielle Koordinierung (KoKo), die vom Stasioffizier und Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski geleitet wurde.

Die Frage, was eigentlich "sozialistisch" am DDR-Kunsthandel gewesen ist, weiß der ehemalige Generaldirektor Küttner heute nur noch schwer zu beantworten. "Alles in allem war das, was wir machten, gar nicht so verschieden vom westlichen Kunsthandel." Aus seiner Sicht mag das vielleicht sogar stimmen, besonders da, wo es um Geschäfte mit dem Westen ging. In den Achtzigerjahren bespielte der Staatliche Kunsthandel eigene Kojen auf der Art Basel genauso wie auf der Art Cologne.

Als der Aachener Schokoladenfabrikant und Großsammler Peter Ludwig 1977 damit begann, im großen Stil Kunst aus der DDR zu kaufen, wurde er von Küttner durch die Ateliers in Dresden, Leipzig und Ostberlin begleitet, denn die Abwicklung der Kunstkäufe musste über den Staatlichen Kunsthandel geregelt werden. Ludwig, der geschickte Verhandler, hatte freilich Sonderkonditionen und ließ sich 1983/84 von Bernhard Heisig porträtieren, einer der Vaterfiguren der Neuen Leipziger Schule. Küttner lieferte auch an Galeristen wie Dieter Brusberg in Hannover, der Anfang der Achtziger nach Westberlin übersiedelte und 1983/84 und 1988 die Ausstellung "Zeitvergleich" mit Malern aus dem Osten organisierte. "Mit dem Staatlichen Kunsthandel haben wir zur Liberalisierung und Internationalisierung der Kunst in der DDR beigetragen", sagt Küttner.

Der "Galerie Oben" in Chemnitz gelang es, die eigene Unabhängigkeit weitestmöglich zu bewahren

Gegen die Monopolisierung des Marktes durch den Staatlichen Kunsthandel gab es freilich auch Widerstand. Diese Geschichte kann Gunar Barthel erzählen, der in Chemnitz (damals Karl-Marx-Stadt) von 1979 bis zu seiner Ausreise 1987 die "Galerie Oben" leitete. Heute betreibt Barthel die Galerie Barthel + Tetzner in Berlin-Charlottenburg, die aber auch wie ein Archiv der nonkonformen Künste in der DDR funktioniert. Gerade wird das 30-jährige Bestehen mit einer thematischen Ausstellung gefeiert, bei der unter anderem Werke von Karl-Heinz Adler, Gerhard Altenbourg, Carlfriedrich Claus, Hermann Glöckner, Eberhard Göschel und Klaus Hähner-Springmühl zu sehen sind.

Bei der "Galerie Oben" handelte es sich um eine selbständige, auch finanziell unabhängige Künstlergenossenschaft, die man heute "Produzentengalerie" nennen würde. Die gemeinschaftlich erwirtschafteten Finanzen wurden nicht an die Genossenschaftsmitglieder ausgezahlt, sondern in Ausstellungen, Kataloge und die sogenannten Mittwochsveranstaltungen, etwa Jazzkonzerte, Lesungen und Performances reinvestiert. "Damals gab es in Karl-Marx-Stadt eine ganz virulente und aktive Szene", erzählt Barthel. Zwei Übernahmeversuche durch den Staatlichen Kunsthandel konnten durch "beharrliches Lavieren" erfolgreich abgewehrt werden. So blieb die eigene Unabhängigkeit im Rahmen des Machbaren bewahrt. Man konnte Kunst verkaufen, aber einen "freien Kunsthandel gab es nicht", so Barthel.

Die Berliner Künstlerin Cornelia Schleime sieht das genauso: "Einen Kunstmarkt für Künstler gab es im Osten nicht. Es gab einen Devisenmarkt, der sich vorwiegend auf Antiquitäten beschränkte. Später gab es auch einen Markt für Maler wie Werner Tübke oder Bernhard Heisig, die aber auch der Devisenbeschaffung dienten."

Schleime, geboren 1953 in Ostberlin, lebt heute in einer Atelierwohnung im Prenzlauer Berg und malt in einer zum Atelier ausgebauten Scheune in Brandenburg. Mit ihren großformatigen figurativen Gemälden, denen nichts Schweres anhaftet, ist sie sehr erfolgreich. Vor drei Jahren widmete ihr die Berlinische Galerie eine große Retrospektive. Schon als Studentin an der Dresdner Kunstakademie geriet die Künstlerin in Konflikt mit den Autoritäten, da sie sich in der unangepassten Kunstszene bewegte und sich nicht um die Drohungen der Zensoren scherte. Schleime produzierte fotografische Selbstinszenierungen, machte Performances, drehte experimentelle Super-8-Filme und gründete mit ihrem Malerkollegen Ralf Kerbach die Punkband Zwitschermaschine. 1980 schloss sie ihr Studium mit Diplom ab. Von 1981 an war sie de facto mit einem Ausstellungsverbot belegt, da man ihr die Mitgliedschaft im Verband Bildender Künstler verweigerte.

Als Cornelia Schleime 1984 die DDR verlassen musste, blieben fast all ihre Werke zurück

Die Künstlerin ging 1982 nach Ostberlin und hielt sich mit der Arbeit in der Keramikwerkstatt von Wilfriede Maaß finanziell über Wasser, die zugleich ein Treffpunkt der oppositionellen Szene war. Als sie1984 innerhalb von 24 Stunden die DDR Richtung Westen verlassen musste, ließ sie gezwungenermaßen nahezu ihr gesamtes bis dahin geschaffenes Oeuvre in ihrer alten Wohnung zurück. Es gilt heute als verschollen. Nur einige Fotografien, Super-8-Filme und Künstlerbücher konnte sie mit Hilfe eines Diplomaten in den Westen retten. Als sie 1985 mit vier weiteren ausgereisten Künstlern an der Gruppenausstellung "Malstrom" im Berliner Haus am Waldsee teilnahm, merkte sie bereits, dass sie sich Gruppenbildungen und Zuordnungen zukünftig lieber entziehen wollte. "Ich ging von da an meinen Weg alleine. Und das war richtig so." 1989 fährt sie mit einem einjährigen Stipendium nach New York und registriert die Marktmacht der Konzeptkunst. "Malerei war out. Kühle Konzeptkunst war angesagt." Dass das Interesse an der Malerei aus der DDR nach einer anfänglichen Euphorie Anfang der Neunziger schnell abflachte, hing eben auch mit dem Zeitgeist zusammen. "Allen Malern ging es damals schlecht, auch denen aus dem Westen."

Schleimes frühe Werke sind derzeit in der Düsseldorfer Schau "Utopie und Untergang" vertreten. Die Künstlerin sagt: "Zu Mauerfalljahrestagen werden die ehemaligen DDR-Künstler wieder ans Tageslicht gebracht, ansonsten arbeiten sie weiter in Nischen und Ecken, wie zu DDR-Zeiten." Sie scheinen gefangen in der Vergangenheit. Für das, was die Künstler aus der DDR heute machen, gebe es kaum Interesse.

Womöglich wird das Kunsterbe aus der DDR erst in einer gebrochenen Form wieder interessant. Am Donnerstag kaufte der Freundeskreis des Kunstpalasts und der Art Düsseldorf auf Empfehlung einer Fachjury am Stand Galerie KOW auf der Düsseldorfer Messe für 25 000 Euro die Installation "DDR Noir" (2019) von Henrike Naumann. Anlässlich einer Ausstellung in Berlin im letzten Winter hatte die 1984 in Zwickau geborene Künstlerin die sozialistisch-realistischen Gemälde ihres Großvaters, des sächsischen Malers Karl Heinz Jakob (1929-1997), in eine begehbare Installation aus schwarz furnierten Nachwende-Billigmöbeln integriert. In Form einer installativen Familienaufstellung wird der gesellschaftliche Umgang mit der Kunst der ehemaligen DDR zur Diskussion gestellt.

Galerie Berlin. Galerie Barthel + Tetzner. Utopie und Untergang. Kunst in der DDR. Kunstpalast Düsseldorf. Bis 5.1.2020.

© SZ vom 16.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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