Kunst:Häuser in sanftem Licht

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Ungewohnte Perspektiven und faszinierende Farbenspiele zeichnen die Holzschnitte von Carl Thiemann "Alt-Prag, Aus der Thungasse II" (links) und Walther Klemm "Alt-Karlsbad" (rechts) aus. (Foto: Wolfram Schmidt (Regensburg), Narodni Galerie v Praze)

Die Ausstellung "Stadt Land Tier" im Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg stellt Holzschnitt-Arbeiten der beiden aus Karlsbald stammenden Künstler Carl Thiemann und Walther Klemm gegenüber

Von Sabine Reithmaier

Die Entscheidung, sich ganz auf den Farbholzschnitt zu konzentrieren, war wirtschaftlich auf jeden Fall ein geschickter Schachzug von Walther Klemm und Carl Thiemann. Ihre farbintensiven Blätter mit den leicht verständlichen Sujets - Landschaften, Stadtveduten oder Tieren - ließen sich leichter verkaufen als teure Gemälde. Wie der Kunstbetrieb zu Beginn des 20. Jahrhunderts funktionierte, vermittelt die Ausstellung "Stadt Land Tier" in Regensburg eher nebenbei. Im Mittelpunkt steht das Frühwerk der zwei böhmischen Künstler, eingebettet in den Kontext der Prager und Wiener Kunstszene.

Um 1900 boomte der Holzschnitt allerorten, ausgelöst in erster Linie durch die Begeisterung für japanische Werke, denen man auf diversen Weltausstellungen begegnet war. Aber nicht nur in London, Paris oder Wien wandten sich viele junge Künstler dem Holzschnitt zu, sondern auch in Prag; dort lernten sich Walther Klemm und Carl Thiemann kennen. Vielleicht waren sie sich auch schon in ihrem Geburtsort Karlsbad über den Weg gelaufen, wo Klemm 1883 in eine gutbürgerliche Umgebung hineingeboren wurde. Thiemanns Vater dagegen war Postbote, weshalb der Sohn, Jahrgang 1881, erst einen soliden Beruf lernen musste und auch etliche Jahre als Kaufmann arbeitete, bevor er 1905 dank zweier Stipendien an der Akademie in Prag Kunst studieren konnte.

Klemm konnte ohne Umwege sein Studium aufnehmen, besuchte vier Jahre die Kunstgewerbeschule in Wien, begeisterte sich für den Farbholzschnitt. Gleich seine ersten Schnitte, die er 1904/5 in der Wiener Sezession ausstellte, stießen auf so große Zustimmung, dass die Graphische Sammlung in München und die Wiener Hofbibliothek einige Arbeiten ankauften. Seine frühen Werke erinnern, wenn auch ohne floralen Überschwang, an den weitaus berühmteren Emil Orlik. Hemmungen, dieselben Motive wie sein Vorbild zu benutzen, hatte Klemm nicht. Orliks Darstellung des alten Schlossbrunnens in Karlsbad ähnelt dem späteren, gleichnamigen Holzschnitt Klemms frappierend. Anregungen holte er sich auch bei Edvard Munch; die zentrale Figur seiner "Badenden Knaben" (1906) ist dem "Badenden" (1899) des Norwegers entliehen.

Klemm behauptete lebenslang, Autodidakt gewesen zu sein und sich die Technik des Farbholzschnitts selbst angeeignet zu haben. Auf Thiemann traf er im Winter 1906, möglicherweise in einer Malereiklasse an der Prager Kunstakademie. Die beiden beschlossen gemeinsam zu arbeiten. Als Atelier nutzten sie eine alte Ziegelei in Libotz, einer Gemeinde in der Nähe von Prag. Die gemeinsame Zeit dort währte nicht lang, im Frühjahr 1908 wechselte das Duo nach Dachau; Thiemann blieb dort für den Rest seines Lebens, Klemm zog 1913 weiter nach Weimar. Während der zwei Jahre in Libotz aber schufen sie ein enormes grafisches Werk. In einer ungeheuer stilistischen Vielfalt übrigens, der man anmerkt, welchen Spaß es ihnen gemacht haben muss, mit Farben zu experimentieren und verschiedene Stilrichtungen auszuprobieren. Manche Landschaften gestalten sie japanisch reduziert, setzen harte Konturen, verzichten auf überflüssige Details. Dann wieder schwelgen sie in impressionistisch-atmosphärischer Manier.

Der Erfolg stellte sich schnell ein. Schon im ersten Jahr verkauften sie Konvolute an die Moderne Galerie, der Vorläuferin der Nationalgalerie in Prag. Letztere wusste lange Zeit nichts von ihren Schätzen. Erst 2012 entdeckten Kunsthistoriker die bis dahin unbekannte Mappe "100 Farbholzschnitte" aus der gemeinsamen Werkstatt. Auf diesem Fund basiert die Idee, das noch nie gezeigte Frühwerk der beiden vorzustellen und sie gleichzeitig durch eine Fülle anderer Arbeiten mit der europäischen und japanischen Tradition des Farbholzschnitts zu verbinden.

Oft arbeitete das Duo nach Postkarten. So gibt es eine nie vollendete Serie Alt-Berlin. Darin gestalten beide die Spreegasse "Krögel"; Klemm farbintensiver, während Thiemann stärker auf Linien und Flächen setzt. Aber während auf den Fotos oft schäbige Gebäude zu sehen sind, tauchen sie ihre Häuser in sanftes Licht, verfremden durch Farben. Naturalistische Darstellung war eben nie ihr Ziel, ihnen ging es um die Stimmung. Wo die Häuser stehen, ist eigentlich egal. Abgebildet wird keine Wirklichkeit, sondern eine nostalgische, eher museale Welt.

Stadt Land Tier. Der Farbholzschnitt in Prag um 1900 ; Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg, bis 18. Juni

© SZ vom 26.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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