Kunst:Eingeschifft

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Das Baumaterial von Banksys "Dismaland" in England soll nach dem dortigen Ende in einem französischen Flüchtlingslager wieder zum Einsatz kommen. Bislang gibt es dort nicht einmal eine Toilette oder eine Küche.

Von Joseph Hanimann

Zu den Migranten nach Calais! - hieß eigentlich die Anweisung des Straßenkünstlers Banksy, als sein jüngstes Großprojekt vom Kunst- in den Humanitärbereich hinüberwechselte. Sein schräger Freizeitpark "Dismaland" in Weston-super-Mare an der englischen Westküste hat Ende September termingemäß wieder zugemacht, und der Künstler verkündete, das alles würde bis auf den letzten Balken und Nagel kunstgerecht abgebaut und in den "Dschungel" verfrachtet. Das ist jenes improvisierte Flüchtlingslager vor dem Eurotunneleingang bei Calais, dessen Bewohner täglich auf eine Transportgelegenheit nach England warten.

Online-Tickets gebe es diesmal nicht, fügte der Künstler mit kaltem Humor hinzu. Durch die massive Kartenbestellung im Internet war bei der Eröffnung von Dismaland im August der Server zusammengebrochen.

Im Lager gibt es bislang weder eine Toilette noch eine Suppenküche

150 000 Besucher sollen während der fünf Wochen von der Freizeitpark-Parodie - der Name könnte mit "Finsterland" übersetzt werden - angelockt worden sein. Neben eigenen Werken zeigte Banksy dort auch Kreationen von mehreren Dutzend anderen Künstlern, darunter Damien Hirst, Mike Ross, Jenny Holzer. Ein heruntergekommenes Dornröschenschloss mit abgesoffenem Polizeiauto davor, ein Ententeich, dessen Plastiktiere sich nur schwer aus dem ölverschmutzten Wasser fischen ließen, Fernsteuerboote randvoll mit Migranten gehörten zu den Attraktionen des Parks auf einem stillgelegten Badeareal in Weston-super-Mare. Und das Personal mit schlaffen Mickey-Ohren legte statt der obligaten Fröhlichkeit demonstrative Langeweile und Unfreundlichkeit an den Tag. Das von der Kunst vertriebene Lächeln kehrt nun aber durch die Wohltätigkeit wieder zurück. Nur eben nicht nach Calais.

Banksy hatte das abgebaute Material seines Parks dem Freiwilligenverein "Aid Box Convoy" aus dem nahe gelegenen Bristol vermacht. Als dieser hörte, dass es noch viel schlimmere Lager an der französischen Nordküste gebe als den "Dschungel", änderte er schnell den Bestimmungsort. Empfänger soll nun ein Camp weiter weg werden, das bisher keinerlei Hilfe bekam und in desolatem Zustand sein soll. Der seit 2009 von der Polizei wiederholt geräumte und immer wieder neu erstandene Zelte-Dschungel vor Calais zählt bis zu dreitausend Migranten und ist ein Dauerstreitthema zwischen Frankreich und England. Diesseits des Kanals erwartet man mehr Zusammenarbeit für die Lösung eines gemeinsamen Problems, auf der anderen Seite kritisiert man ein verantwortungsloses Laisser-faire. Freiwillige Helfer und die Ärztevereinigung "Médecins du Monde" kümmern sich ums Allerdringlichste, beklagen aber eine Europa unwürdige Situation, prekärer noch und trostloser als jene in den Lagern an der Grenze des Kosovo vor fünfzehn Jahren.

Das Elendslager, das nun die Blechwände, Abflussrohre, Kocheinrichtungen, Restkonserven, fünf Tonnen Brennholz und vielleicht auch die Plastikenten aus Dismaland bekommen soll, hatte laut einer Sprecherin von "Aid Box Convoy" bisher weder Toiletten noch eine Suppenküche. Das ganze Equipment sei verpackt und schon unterwegs, heißt es nun.

"Finsterland" sei nichts für Kleinkinder, hatte Banksy bei der Eröffnung des Freizeitparks gewarnt. Am neuen Ort werden sie nicht fernzuhalten sein. Manche Stimmen protestierten schon bei der Eröffnung von Dismaland gegen den sarkastischen Umgang der Künstler mit ernsten Themen. Doch ist Sarkasmus in diesem Fall vielleicht die effizientere Antwort als laute Empörung oder stilles Mitleid. Die Frachtoperation wäre dann die Verlängerung der Kunstaktion und der wahre Nutzen für die Migranten am Ärmelkanal nur ein Abfallprodukt.

© SZ vom 12.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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