Kunst des Porträts:Das Atelier am Zoo

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Sie war eine der großen Porträtfotografinnen der Weimarere Republik: Charlotte Joël wurde in Auschwitz ermordet. Von ihr bleibt der intime Blick derer, die sie aufgenommen hat.

Von Jens Malte Fischer

Von einer der bedeutendsten Porträtfotografinnen der Weimarer Republik existiert kein einziges Foto, zumindest ist keines überliefert: Wir wissen nicht, wie Charlotte Joël aussah. Das passt zu der Tatsache, dass sie selbst weitgehend hinter ihr fotografisches Werk zurücktrat. Wenn irgendwo auf der Welt ein Porträtfoto von Walter Benjamin oder Karl Kraus benötigt wird, dann kann man nahezu sicher sein, dass dieses Foto von Charlotte Joël stammt, aber über sie selbst wusste man bisher nahezu nichts. Werner Kohlert und Friedrich Pfäfflin haben dem mit einem so schönen wie liebevollen Band abgeholfen. Der Hauptteil des Buches besteht aus den erhaltenen Fotos, die in erstaunlicher Qualität überliefert sind.

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(Foto: Deutsche Kinemathek - Marlene Dietrich Collection Berlin)

Marlene Dietrich im Jahr 1918.

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(Foto: :Forschungsinstitut Brenner-Archiv,Universität Innsbruck)

Charakterstudie einer "Heulliese" aus Charlotte Joëls Atelier.

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(Foto: Karl Kraus-Sammlung Friedrich Pfäfflin)

Karl Kraus vor Charlotte Joëls Kamera.

Charlotte Joël, Jahrgang 1887, war eine gebürtige Charlottenburgerin. 1913 eröffnete sie ihr Fotoatelier in der Nähe des Bahnhofs Zoo. Es firmierte unter dem Namen Joël-Heinzelmann - Marie Heinzelmann war die Geschäftsführerin. Joël hatte noch einen bemerkenswerten Bruder: Ernst, als Medizinstudent einer der führenden Köpfe der deutschen Jugendbewegung, mit Walter Benjamin befreundet, mit dem er kurz vor dem Ersten Weltkrieg für eine Zeit eine gemeinsame Wohnung hatte. Ernst Joël richtete eine Fürsorgestelle für Suchtkranke ein und wurde dann Stadtoberschularzt. 1929 bereits starb er, wohl an einem Selbstversuch mit Drogen, Experimente, die er auch zusammen mit Benjamin unternommen hatte. Es war ganz offensichtlich der Bruder, der seiner Schwester Kontakte zu bedeutenden Menschen vermittelte. Wie aus Dokumenten hervorgeht, lief es meistens so ab, dass das Atelier Joël-Heinzelmann besondere Menschen der Zeit einlud, sich fotografieren zu lassen. Ohne Zweifel hat Ernst mit seinem reichen Bekanntenkreis dafür gesorgt, dass Martin Buber, Kraus, Benjamin, sein Bruder Georg, dessen Frau Hilde (später DDR-Justizministerin und als solche in der Bundesrepublik übel beleumundet) und die Schwester Dora Benjamin ins Atelier kamen. Auffallend ist die ungewöhnliche Ähnlichkeit der Geschwister Benjamin miteinander, noch verstärkt dadurch, dass Dora in Frisur und Kleidung einen damals nicht ungewöhnlichen androgynen Stil pflegte. Dann gibt es Fotos von einer pausbäckigen siebzehnjährigen Marlene Dietrich und vom jungen Schauspieler Bernhard Minetti, sowie von dem von Kafka und Kraus geschätzten Rezitator Ludwig Hardt. Eine Spezialität des Ateliers waren offensichtlich Kinderfotos von erstaunlicher Lebendigkeit. Geradezu berückend sind die vier Porträts von Gretel Karplus aus dem Jahr 1931, die damals schon mit Theodor W. Adorno verbunden war, den sie später heiratete.

Die Kunst Charlotte Joëls lässt sich prägnant an den berühmtesten Fotos, eben denen von Walter Benjamin und Karl Kraus erkennen. Es gibt keine Staffagen, keine Hintergründe, der Fotografierte sitzt der Kamera auf Augenhöhe gegenüber, er blickt in sie hinein oder an ihr vorbei, die Ausleuchtung vermeidet jeden Anhauch von Atelieratmosphäre, Schmucklosigkeit und Nüchternheit herrschen vor, die Ausstrahlung der Person wirkt ungefiltert. Kraus dominiert mit über 31 Bildern, die zwischen 1921 und 1930 aufgenommen wurden. Zwischen ihm und der Fotografin entstand ein besonderes Vertrauensverhältnis. Zeichen dafür ist, dass er vor ihrer Kamera so entspannt war, wie sonst nie bei seinen zahlreichen Aufnahmen. Eine Postkarte vom Mai 1934 an Kraus lässt die Vereinsamung der wegen ihrer jüdischen Herkunft bereits kaltgestellten Fotografin erkennen.

Das Werk der Photographin Charlotte Joël. Mit einem Essay von Werner Kohlert und einem Katalog des photographischen Werks von Friedrich Pfäfflin. Wallstein Verlag, Göttingen 2019. 330 Seiten, 24,90 Euro. (Foto: N/A)

Im Gegensatz zu einigen ihrer bekannten Kolleginnen wie Lotte Jacobi und Gisèle Freund konnte sich Charlotte Joël nicht mehr zur Emigration aufraffen. Noch 1936 firmierte das Atelier unter dem Doppelnamen. Marie Heinzelmann führte es bis in die Nachkriegsjahre weiter. Ihre Geschäftspartnerin kam 1941 in das Zwangsarbeiterlager Gut Neuendorf, im April 1943 traf dort eine Deportationsliste ein, in der auch Charlotte "Sara" Joël verzeichnet war. Am 20. April 1943 kam der Transport mit ihr und ihrer Freundin Clara Grunwald in Auschwitz-Birkenau an.

1936 erschien in einem Luzerner Verlag eine Briefanthologie mit dem Titel "Deutsche Menschen", ausgewählt und kommentiert von Detlef Holz. Hinter diesem Pseudonym verbarg sich der von Charlotte Joël porträtierte Walter Benjamin. Das berühmt gewordene Motto zu diesem Buch lautet: "Von Ehre ohne Ruhm. Von Größe ohne Glanz. Von Würde ohne Sold". Werner Kohlert und Friedrich Pfäfflin haben der Benjamin'schen Arche mit ihrem Buch ein Beiboot angehängt.

© SZ vom 26.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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