Kunst aus Haaren:Das Kreiseln des Stößels

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Die Installation "Behold" ist so monumental wie die meisten Arbeiten der 1957 im indischen Bhadravati geborenen Künstlerin Sheela Gowda. Jetzt ist das Werk im Münchner Kunstbau zu sehen.

Von Catrin Lorch

Die schwarzen Seile sind kräftig. Sie baumeln verheddert von der Decke und verschlingen sich zu gewaltigen Knoten. Die Künstlerin Sheela Gowda hat Stoßstangen aus verchromtem Metall daran aufgehängt, die wirken wie Silberklammern in einer komplizierten Frisur. Und Vor allem, wenn man erfährt, dass "Behold" von 2009 besteht tatsächlich aus Haaren. Verfilzten, verdrehten, geflochtenen und verknoteten Haaren.

Man kann Haar in Indien kaufen, eine ganze Industrie sammelt Haare als Rohstoff in den Tempeln ein, vor deren Türen Gläubige sie aus Dankbarkeit opfern. Die Büschel werden gewaschen, gebürstet und verwertet. Als schmale Bändchen bindet man sie an die Stoßstange um im indischen Straßenverkehr auf Verschonung zu hoffen. Man knüpft daraus Perücken und Rastazöpfe. Westliche Sammlerinnen tragen häufig indische Haare auf dem Kopf.

"Behold" ist so ausgreifend, dass sie den Eingang des lang gestreckten Münchner Kunstbaus, wo das Werk von Sheela Gowda gezeigt wird, zu einer spinnwebigen Ecke verzwergt. Die Installation ist so monumental wie die meisten Arbeiten der im Jahr 1957 im indischen Bhadravati geborenen Künstlerin. Auch die Gemälde sind groß, die Sheela Gowda Anfang der Neunzigerjahre mit Kuhdung, statt Pigment malte. Doch gerade sind sie an der gegenüberliegenden Wand kaum zu erkennen, der Parcours, den die Kuratorin Eval Huttenlauch dazwischen entfaltet, ist fast nicht zu überblicken: Seile, Eisentonnen, Ziegelsteine, Zeitungsfotos, Blechplatten.

Die sandfarbenen, hellen Blöcke, die wie Geröll vor den Gemälden liegen, sind die Mörser, die in den Boden traditioneller Häuser eingelassen waren, damit Gewürze dort frisch zubereitet werden können. Die rasante wirtschaftliche Entwicklung, die Modernisierung indischer Städte hat sie heimatlos gemacht. Wer Ulrich Rückriem schätzt, Rachel Whiteread oder Bruce Nauman kann solche Arrangements im Kontext zeitgenössischer Kunst verankern. Doch liebt die Szene solche Kunst aber vor allem, weil sie exotisch ist, lokale Geschichte erzählen, etwas vermitteln vom Leben anderswo. "Behold" war bei der Documenta 13 eine zentrale Arbeit. Eine Kunst, die formal avanciert ist, aber einer Heimat verbunden bleibt, die nach Kuhdung und Haaren und Kurkuma duftet.

Dass Sheela Gowdas Werk aber mehr ist, als künstlerisch aufbereitete Ready-Mades, das belegt die Münchner Schau. Es ist nicht nur die konzeptuelle Stringenz, die Schönheit der umgehämmerten Ölfässer, deren Lack laubgrün, safrangelb und hellblau leuchtet. Es ist vor allem der überwältigende Eindruck von Dichte, den die Bildhauerin dem Material einschreibt. Als können man nicht nur Gewürze, Asphalt und Blech, sondern auch die Vorstellungskraft des Betrachters durchhämmern und stauchen. Das Kreiseln des Stößels in den ausgedienten Mörsern, das Klopfen, Sägen, Schneiden, Flechten ist fast körperlich spürbar. Weil Sheela Gowdas Atelier die Arbeit von Tausenden nicht nur benutzt, weil deren Arbeit ihren Werken eingeschrieben ist, findet sie einen Ausdruck für Gewalt, Kraft und Macht einer Gesellschaft, die in Milliarden zählt.

Sheela Gowda. It. Matters. Kunstbau Lenbachhaus, München. Bis 18. Oktober. Das begleitende Künstlerbuch kostet 29,95 Euro.

© SZ vom 15.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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