Kulturgeschichte des Schlittens:Porsche mit Kufen

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Sie waren die Luxuskarossen des Barock: Mit prächtigen Schlitten fuhr der Adel durch die Wälder - und gab sich erotischen Ausschweifungen hin. Doch das Rodeln hat weitere Reize. Mit Bildstrecke.

Matthias Kolb, Fotos: Patrizia Odyniec

Im 17. und 18. Jahrhundert waren sie die unumstrittenen Highlights des Gesellschaftslebens: Wenn Könige, Fürsten und die reichen Patrizier der Städte zu großen Schlittenfahrten einluden, kam alles, was Rang und Namen hatte. An diesen "Schlittagen", wie sie à la mode genannt wurden, nahmen Dutzende Gefährte teil. Für Spaß und gute Laune sorgten mehrere Musikschlitten.

Hofbildhauer fertigten die kunstvollen Schlitten der Adeligen an. (Foto: Foto: Patrizia Odyniec)

"Damals war Schlittenfahren neben dem Vergnügen vor allem eine Frage der Repräsentation", sagt Frank Matthias Kammel. Er hat die Ausstellung "Heiße Kufen" im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg kuratiert.

Doch die Ausfahrten waren laut Kammel für viele Teilnehmer nicht nur wegen der Natur interessant: Es fuhren nicht nur Ehepaare zusammen. Zu Beginn der Saison wurden die Paare ausgelost, die den ganzen Winter den Schlitten teilten. Es gehörte zum guten Ton, der Begleiterin täglich Blumen zu schicken sowie Kleidung und Decken aufeinander abzustimmen - "ein kostspieliges Vergnügen", kommentiert Kammel.

Die Gefährte wurden von Hofbildhauern oder renommierten Künstlern entworfen und gebaut, für Gestell und Kufen waren Wagenbauer zuständig. Der Schlitten des Nürnberger Geschlechts Schlüsselfelder ist 350 Jahre alt, doch die Ornamente, die Feinheit der Figuren und das Material beeindrucken noch heute. Im deutschen Sprachraum wurden künstlerisch gestaltete Schlitten seit dem 15. Jahrhundert erwähnt, und in Nürnberg sind mehrere dieser Kunstwerke auf Kufen zu bewundern.

Individuell gestaltete Schlitten

Damals wurden immer wieder neue Schlitten gebaut, alte mit Farben übermalt oder umgewandelt: "Wer zu einer Schlittage einlud, der legte das Motto fest", erklärt Kammel. Besonders beliebt waren die Tierwelt oder die Mythologie, weshalb mehrere Figurenschlitten Hirschen oder Schwänen gleichen und so war der Phantasie kaum Grenzen gesetzt. Wer den prachtvollsten Schlitten präsentieren konnte, hatte gewonnen.

Die Pferde wurden mit Federbüschen, Bändern und Schellendecken geschmückt. Beliebt waren auch turnierartige Parcours-Ritte, bei der die Dame mit Pfeil und Bogen oder einer Pistole aus Pappmaché gefertigte Köpfe von Türken oder Negern treffen oder mit einer Lanze Ringe aufnehmen musste.

Laut Kammel kam es rund um die Schlittagen, die oft mit Bällen verbunden waren, immer wieder zu Ausschweifungen und die Beschwerden über "unmoralische Handlungen" häuften sich. Dementsprechend schlecht war ihr Ruf. Im 18. und 19. Jahrhundert galt die Schlittenfahrt als Metapher für "übermütiges Verhalten und oberflächliches Gefühlsleben". Goethe schrieb in einem Brief: "Mein Leben in Weimar ist wie eine Schlittenfahrt".

Kavaliere mit der Peitsche

Während die Dame in dem engen Sitzkasten Platz nahm, stand der Kavalier hinter ihr mit beiden Beinen auf der Pritsche und lenkte. Die Dame wurde in Decken gehüllt und auch von unten gewärmt. "Die Männer haben einen Ziegelstein erhitzt und diesen in Tücher gewickelt", beschreibt Kammel. In viele Sitze wurde ein Türchen eingearbeitet, um den heißen Stein im Kasten zu platzieren.

Die Kavaliere hatte spezielle Peitschen, mit denen sie nicht die Pferde traktierten, sondern möglichst gekonnt zu schnalzen versuchten. Als sehr schick galt es auch, mit der Peitsche den Schnee auzuwirbeln und möglichst schnell zu fahren.

Auch klassische Holzschlitten sind in der Nürnberger Ausstellung zu sehen (Foto: Foto: Patrizia Odyniec)

Die gelang aber nicht allen, wie Georg Löhneysen im 17. Jahrhundert beschrieb. Löhneysen, der an mehreren Adelshöfen arbeitete, verfasste 1609 sein Buch "Über das Reitwesen" und spottete, es seien vor allem zwei Berufsgruppen, die nach großen Schlittenfahrten viel Arbeit hätten: Die Bildhauer müssten die kaputten Gefährte und die Chirurgen die Fahrer reparieren.

Der Schlitten des Märchenkönigs

Zugleich informiert die Nürnberger Ausstellung über die Geschichte des Gefährts. Der Schlitten gilt als ältestes Transportmittel der Welt, den die Ägypter schon im dritten Jahrtausend vor Christus benutzten und schwere Lasten über den Sand zogen. Der älteste europäische Schlitten wurde 1904 in einem Grab in Norwegen entdeckt: Er stammt aus der Zeit um 800 und gehörte einem Wikingerfürsten.

Bayerns Märchenkönig Ludwig II. ließ sich einen Rokoko-Schlitten bauen, mit dem er sich nachts von Neuschwanstein nach Linderhof fuhr. Angeblich war dies das erste Fahrzeug mit elektrischer Beleuchtung.

Seine Zeitgenossen hatten wenig Verständnis für Ludwig II., wie Kammel berichtet: "Die Psychiater, die ihm 1886 eine seelische Störung attestierten, beriefen sich nicht auf seinem Schlösserwahn, sondern explizit auf diese Fahrten. Ihr Fazit: Wer alleine in einem Schlitten durch die Gegend kutschiert, kann nicht ganz normal sein."

Nach der französischen Revolution wurde das Schlittenfahren auch im Bürgertum sehr beliebt, wobei ebenfalls großer Wert auf Zubehör und Schlittenschmuck gelegt wurde. Auf den Eisflächen herrschte ein buntes Treiben: Männer schoben Kinder und Damen in Stoßschlitten herum, und Kinder benutzen zwei Stecken, um auf Piekenschlitten voran zu kommen.

Köstliches Kindervergnügen

Ein Abschnitt der Schau widmet sich mit Bilderbüchern und Zeichnungen dem Wintervergnügen der Kinder. Die Söhne des Nürnberger Patriziers Paulus Behaim bekamen 1559 Schlitten geschenkt - dies ist laut Katalog "der älteste Beleg für die kindliche Benutzung des Gefährts".

Am Hofe fuhren die Kinder in Mini-Schlitten, die von Ziegen gezogen wurden, und übten so früh die passenden Geschlechterrollen ein. Der Begriff "rodeln" wurde erstmals 1532 in Augsburg verwendet - anderswo sagte man "rumpeln" oder "schlitteln". Zudem sind mehrere moderne Schlitten, Gleitteller und Bobs neben Raritäten wie einem 2002 entwickelten Aluminium-Schlitten von Porsche ausgestellt.

Der klassische Rodelschlitten wurde 1893 in Davos entwickelt, das sich neben anderen Orten in Österreich und der Schweiz zu einem Zentrum des Wintersports wandelte. Plakate aus dieser Zeit zeigen schicke und gut gelaunte Menschen, die auf Schlitten ins Tal rasen. Auch wenn das Skifahren immer beliebter wurde, blieb der Schlitten ein Symbol für eine aktive Erholung und mondänes Lebensgefühl, wie ein Werbeplakat für Sankt Moritz aus dem Jahr 1938 zeigt.

Heutzutage sind die Kufengefährte in der Weihnachtszeit überall präsent, um Produkte aller Art zu bewerben. Denn schließlich zelebriert man an Weihnachten das Gefühl der heilen Welt - und dafür gibt es kaum ein besseres Symbol, das an vergangene Kindheitsträume erinnert.

Doch der Schlitten löst auch noch andere Assoziationen aus. So werden große und schnittige Autos als Schlitten bezeichnet. Ein Foto im letzten Abschnitt der Schau zeigt ein Zimmer in einem westdeutschen Bordell - die Samtdecken liegen auf einem großen Bett in Form eines Schlittens.

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