Kulturerbe:Profaner Heiliger

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Nordrhein-westfälische Politiker aus vier verschiedenen Parteien setzen sich dafür ein, dass Sankt-Martins-Umzüge zum immateriellen Kulturgut erklärt werden. Damit wird diese einst religiöse Veranstaltung entweiht - aber auch gerettet.

Von Rudolf Neumaier

In Nordrhein-Westfalen sammelt sich eine sehr bunte Schar von Politikern hinter dem heiligen Martin. Das ist der Mantelteiler, zu dessen Ehren im Herbst Gänse verzehrt werden. Wie die Katholische Nachrichtenagentur verkündet, formieren sich die Fraktionen von CDU, SPD, FDP und Grünen zu einem gemeinsamen Antrag. Er soll letztendlich dazu führen, dass die rheinische Tradition der Sankt-Martins-Umzüge von der Unesco als "immaterielles Kulturgut" anerkannt wird. Unter anderem heißt es in dem Antrag: "Die Bewahrung christlicher Traditionen führt zu größerer Toleranz gegenüber denjenigen anderer Religionen." Dass sich die AfD nicht an der Initiative beteiligt, liegt höchstwahrscheinlich daran, dass sie nicht nach ihrer Meinung gefragt wurde.

Die Kirche büßt ein Idol ein - dadurch überlebt es

Über Martinsumzüge gab es in den letzten Jahren viele Diskussionen. Es wurde immer wieder von Kindergärten berichtet, die diese Veranstaltung angeblich umbenennen wollten in Lichterfest - aus Rücksicht auf nicht katholische Kinder und deren Eltern. Man muss kein Buddhist oder Muslim sein, um Heiligenverehrung abzulehnen, sie ist schon evangelischen Christen fremd. Allerdings ist Martin ein Heiliger, auf den sich Vertreter aller Religionen als Vorbild eines selbstlosen Wohltäters müssten einigen können. Und das unabhängig davon, dass er eine klerikale Laufbahn einschlug und im 4. Jahrhundert Bischof von Tours wurde. Martinsumzügen neue Namen zu verpassen wäre vor diesem Hintergrund einfallslos.

Meist stimmten die Meldungen aber ohnehin nicht.

Den nordrhein-westfälischen Politikern geht es nun um den Erhalt einer Tradition. Im Rheinland gibt es Dutzende Martinsvereine. Manche Umzüge lassen sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts nachweisen. Wenn sie nun - wie im Jahr 2015 die Sternsinger - als immaterielles Kulturerbe etikettiert werden, ist der Martinsumzug selbst gegen die kirchenfeindlichsten Kleinkinderzieher immun. Denn die ursprünglich tief religiöse Veranstaltung wird dann zu einem weltlichen Kostümereignis profaniert. Aus Sicht der katholischen Kirche ist diese Entweihung erfreulich und schmerzlich zugleich: Ihr Heiliger bleibt ein Idol, doch sie selbst büßt ihre alleinigen Vermarktungsrechte ein. Ihre Bedeutung schwindet. Hält dieser Trend an, muss sich wohl irgendwann die ganze Kirche als immaterielles Kulturerbe deklarieren lassen.

© SZ vom 11.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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