Kultur:Die Schutzinsel

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Das Brexit-Votum kommt zu einem ungünstigen Zeitpunkt - die Lage für die Künste in Großbritannien ist angespannt.

Von Alexander Menden

Am Freitag, kurz nach der Verkündung des Referendumsergebnisses, veröffentlichte der britische kulturelle Interessenverband "National Campaign for the Arts" (NCA) eine Stellungnahme. Er habe sie schon am Vorabend formuliert, da aber noch gehofft, sie nie verwenden zu müssen, sagte der Schauspieler, Regisseur und NCA-Vorsitzende Samuel West. Er betonte, dass die "weit überwiegende Mehrheit jener, die im Kultursektor arbeiten, in der EU bleiben wollten". Mehr denn je bräuchten die Künste nun "Mittel und Unterstützung, die ihnen erlaubten, dabei zu helfen, Gesellschaften zusammenzuführen und die britische Kultur würdig zu vertreten". Die EU ist dabei nicht nur der wichtigste Absatzmarkt für britische Kulturexporte wie Musik oder Film, ihre Institutionen haben über Jahrzehnte auch gut funktionierende Kooperationen mit den Briten aufgebaut.

Das Brexit-Votum kommt zu einem ungünstigen Zeitpunkt, denn die Lage für die Künste in Großbritannien ist ohnehin angespannt. In den vergangenen Jahren sind die nationalen Fördergelder kontinuierlich zusammengestrichen worden. Für den Herbst wird allgemein eine weitere Runde von Subventionskürzungen erwartet. Nun fürchtet die NCA zu Recht, dass ihre Zuschüsse aus dem 1,46-Milliarden-Topf des europäischen Förderprogramms "Creative Europe" auch bald versiegen werden. Das wäre vor allem für die Regionen, also im Prinzip das gesamte Kulturleben außerhalb der finanziell stets gut ausgestatteten Metropole London, eine Katastrophe. Creative Europe hat im vergangenen Jahr 54 Kulturprojekte mit britischer Beteiligung zu finanzieren geholfen. Auch die Finanzspritzen durch den Europäischen "Fonds für regionale Entwicklung" sind ein bedeutender finanzieller Faktor. Ohne ihn hätten viele kleinere Kulturprojekte in der englischen Provinz schon vor langer Zeit den Dienst einstellen müssen.

Wie soll der Kulturaustausch nun aussehen? Das weiß niemand

Samuel West unterstrich zudem, dass die Implikationen des Referendums bei Weitem nicht mit Geldfragen enden: "Es gibt eine Menge anderer Probleme, die wir in den kommenden Monaten ansprechen müssen", so der NCA-Vorsitzende. "Internationaler künstlerischer Austausch, Export kultureller Produkte, Copyright-Fragen, Visa und der Zugang zu hervorragenden europäischen Ausbildungseinrichtungen, um nur ein paar zu nennen." Tatsächlich weiß niemand, wie die Zukunft des Kulturaustausches mit dem europäischen Festland aussehen wird, da die Austrittsverhandlungen noch nicht einmal offiziell eingeleitet wurden. Gemeinschaftsprojekte britischer und europäischer Kulturfestivals brauchen aber Planungssicherheit, denn sie werden Jahre im voraus angebahnt. Einen solchen Vorlauf fordern beispielsweise Logistik, Finanzierungsmodelle und die Zeitpläne der beteiligten Künstler für Opernproduktionen, die in Großbritannien, Spanien und Frankreich gezeigt werden sollen.

Alex Beard, Geschäftsführer des Londoner Royal Opera House, sagte bereits zu Beginn des Jahres, dass "alles, was es uns erschwert, mit der EU zusammenzuarbeiten, unseren laufenden Betrieb schädigen" würde. Er nannte Zölle, Einwanderungsbeschränkungen oder Visumbestimmungen als Beispiele. "Die Mehrheit unserer Partner für Koproduktionen sind Europäer", mahnte Beard, "ebenso wie eine bedeutende Minderheit unserer Mitarbeiter auf allen Ebenen". Ähnlich verhält es sich mit internationalen Theaterproduktionen oder großen Wanderausstellungen.

Wie sich der Brexit auf Tausende Künstler aus dem EU-Ausland auswirken wird, die in Großbritannien leben und arbeiten, ist ebenfalls noch ungewiss. London, lange Zentrum paneuropäischer Kunst, ist mit seinen horrend hohen Ateliermieten und Lebenshaltungskosten ohnehin für viele junge Künstler unbezahlbar geworden, die lieber nach Brüssel oder Los Angeles gehen, oder gleich daheimbleiben. Sollten jetzt auch noch Einreise- oder Arbeitsbeschränkungen dazukommen, könnte die Kunstproduktion in Großbritannien schon bald deutlich eindimensionaler werden.

© SZ vom 27.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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