Kritiker schrieb Theaterstücke selbst:Schlussakt einer Doppelrolle

Lesezeit: 3 min

Kulturposse in der Provinz: Ein Journalist der "Mitteldeutschen Zeitung" hat unter Pseudonymen Bühnenwerke geschrieben, seine Kollegen anschließend wohlmeinende Kritiken. Der Autor zeigt sich zwar reumütig, im Kulturbetrieb Sachsen-Anhalts herrscht jedoch Verwirrung. Während ein Intendant alles als offenes Geheimnis bezeichnete, habe der Chefredakteur nichts davon gewusst.

Christopher Pramstaller

Autoren schreiben unter Pseudonymen, das ist zunächst kein ungewöhnlicher Vorgang. Denn es gibt viele Beweggründe, nicht unter dem bürgerlichen Namen zu schreiben: Schutz der Privatsphäre, Furcht vor Verfolgung, Spaß am Verwirrspiel oder auch taktische Erwägung bei journalistischen Vielschreibern. Ein Alter Ego ist nicht per se illegitim oder anrüchig. Es gibt jedoch gewisse Bedingungen, in denen die Verquickung von Pseudonym und Autor Grauzonen erreicht, über die sich streiten lässt. So zu sehen derzeit in der Theaterlandschaft Sachsen-Anhalts: Dort wirft die Vermengung der Arbeit von Autoren, Journalisten und Theatern Fragen auf.

Im Zentrum der Posse steht Andreas Hillger, Kulturredakteur der Mitteldeutschen Zeitung (MZ). Hillger hatte unter den Pseudonymen August Buchner und Frank Wallis Stücke verfasst, die in seinem Bereichsgebiet aufgeführt wurden. Am Anhaltischen Theater Dessau, bei den Händelfestspielen, dem Impuls-Festival, dem Werkleitz-Festival, der Theatrale Halle und auf der Bühne Wittenberg wurden seine Bühnenwerke inszeniert. Laut Spiegel wurde er damit zu einem der meistgespielten Gegenwartsautoren des Bundeslandes und von seinen mitteldeutschen Journalisten-Kollegen mit begeisterten Kritiken gefeiert: "Ein Projekt mit Vorbildcharakter, das Schule machen sollte ... Das Publikum tost", schrieb beispielsweise der Kritiker Franz Werfel über Hillgers Stück "Oskar und die Groschenbande" in der MZ. Während der Spiegel weiter schreibt, Hillger selbst habe lobende Artikel über die Theatermacher verfasst, die seine Stücke auf die Bühne brachten, hat Hillger seine eigenen Werke laut MDR nie selbst besprochen.

Ob die Urteile von Hillger oder über Hillgers Stücke zutreffen, sei dahingestellt. Maßstäbe sind im Lokalen andere als in den großen Theatermetropolen, es geht hier oft nicht nur um ein möglichst objektives Urteil. Man kennt sich, man mag sich - und es wird nicht jedes Stück in der Luft zerrissen, wenn es den hehren Ansprüchen nicht genügt. Das ist keine Neuigkeit und wer sich darüber empört, der hat ein falsches Bild vom Zusammenspiel der Lokalkultur und der -berichterstattung.

Arbeit in der Grauzone

Ein offengelegtes Pseudonym hätte Hillger wahrscheinlich keine Probleme bereitet. 2007 hatte er sich für die Nebentätigkeit als Texter des "Choratoriums" "Du, meine Seele, singe" über den protestantischen Kirchenlied-Dichter Paul Gerhardt einmalig die Genehmigung seiner Zeitung eingeholt; bei seinen folgenden Autorschaften versäumte er es dann hingegen, seinen Hauptarbeitgeber zu informieren, wie das Theaterportal nachtkritik.de berichtete. Sicherlich, seine Stücke und die darüber verfassten Kritiken wären äußerst genau beäugt worden. Wirklich problematisch wäre es in einer Region, in der die Mitteldeutsche Zeitung das Monopol hält, wohl aber nicht geworden. Das ist in Halle so, das ist andernorts nicht anders.

Eine skurrile Wendung nimmt die hallensische Kulturposse erst, wenn es sich laut André Bücker, Generalintendant des Anhaltinischen Theaters in Dessau, um ein "offenes Geheimnis" handelte, dass Andreas Hillger Stücke schrieb, während sich Hartmut Augustin, Chefredakteur der Mitteldeutschen Zeitung, von der Meldung völlig überrascht zeigte. Er "wusste nichts davon", teilte Augustin auf SZ-Anfrage mit. Ein Urteil wolle er sich aber noch nicht bilden, mit Hillger hätte er in der Zwischenzeit noch nicht gesprochen. Die Mitteldeutsche Zeitung wolle jedoch den Fall aufarbeiten und herausfinden, welche Stücke der Redakteur schrieb.

Andreas Hillger hingegen zeigt sich reumütig. Inzwischen hat er um die Aufhebung seines Arbeitsvertrags gebeten hat und will in absehbarer Zeit nicht mehr als Journalist arbeiten. Er habe in einer "Grauzone" agiert und sich schon länger in der Doppelrolle als Kritiker und Theaterautor unwohl gefühlt. Er erlebe die Enttarnung in einem gewissen Sinne auch als Befreiung, sagte Hillger nachtkritik.de. Als er von den Recherchen des Spiegel erfuhr, habe er sich sogleich der Chefredaktion der Mitteldeutschen Zeitung offenbart. Um Bereicherung sei es ihm ohnehin nie gegangen. Oft habe er in seinen Stücken Themen verwertet, die er journalistisch nicht hätte bearbeiten können, häufiger habe er auch gar kein Honorar erhalten.

Mit der Bitte Hillgers, den Arbeitsvertrag aufzuheben, scheint die Posse um die Verquickung von Bühnenautor, Journalisten und Intendanz zunächst beendet. An Sachsen-Anhalts Theatern könnte das Ränkespiel jedoch noch ein Nachspiel haben.

Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version dieses Artikels wurde bezüglich der Reaktion Andreas Hillgers auf die Recherchen des Spiegel keine Quellenangabe gemacht. Diese Beruhen auf Recherchen des Theaterportals nachtkritik.de. Wir haben die entsprechenden Stellen kenntlich gemacht und bitten um Entschuldigung.

© Süddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: