Kriminalfall:Drei weiße Kreuze

Lesezeit: 2 min

Der Widerspruch zwischen dem Verlangen, unbedingt objektiv zu bleiben, und den eigenen Gefühlen: ein Gerichtskrimi in Echtzeit von Helen Garner.

Von Sofia Glasl

Vatertag 2005, Australien. Robert Farquharson fährt seine drei kleinen Söhne zurück zu ihrer Mutter, er lebt getrennt von seiner Frau. Auf halbem Weg kommt er von der Straße ab und das Auto stürzt in einen Baggersee. Die Kinder ertrinken, der Vater gibt anschließend an, dass er einen Hustenanfall hatte und hinter dem Steuer ohnmächtig wurde. Die Indizien sprechen jedoch gegen ihn, er wird des Mordes beschuldigt und kommt vor Gericht. Der Fall hält Australien in Atem. Verfahren und Berufungsverfahren dauern insgesamt sieben Jahre. Am Ende wird Farquharson schuldig gesprochen.

Die australische Autorin und Journalistin Helen Garner stammt selbst aus der Gegend um den kleinen Ort Geelong, wo sich das Unglück zutrug, fuhr selbst an den drei kleinen weißen Kreuzen vorbei, die den Ort markieren. Sie begleitete den Prozess und hat ihre Beobachtungen in "Drei Söhne. Ein Mordprozess" niedergeschrieben. Ihr Bericht ist literarische Dokumentation, Reportage und Familienporträt zugleich. Sie oszilliert zwischen sehr sachlichen Schilderungen von der Aufarbeitung der Spurenlage und ihren sehr detailreichen persönlichen Beobachtungen des Geschehens und aller Beteiligten.

Garner hat konsequent die Ich-Perspektive gewählt, die diese Pendelbewegung nachvollziehbar macht, den Widerspruch aufzeigt zwischen dem Verlangen, objektiv zu bleiben, und den eigenen Gefühlen dem Fall gegenüber, und jenseits der juristischen Ebene nach den Mechanismen und Auswirkungen des Mordprozesses fragt. Sie nimmt sich viel Zeit, die am Prozess beteiligten Personen zu porträtieren. Fast will man sie Figuren nennen, denn Garner arrangiert sie wie in einem Gerichtsthriller: der seine Unschuld beteuernde Angeklagte, die in sich zusammengefallene Ex-Frau, die entschlossenen Staatsanwälte und der angriffslustige Verteidiger, der über alles präsidierende Richter, die unnahbare Jury.

Als dann darüber verhandelt wird, welche Informationen den Geschworenen vorenthalten werden können, um Farquharson zu schützen, werden Garner die inszenatorischen Kniffe bewusst, die einen solchen Prozess bestimmen. Die Frage nach der Relevanz vieler Beweise und Indizien stellt sich, Zweifel kommen auf. Es wird deutlich, wie langwierig die Verhandlung hinter der an eine Filmchoreografie erinnernden Oberfläche ist, wie zermürbend etwa das minutiöse Durchdeklinieren kleinster technischer Details sein kann. Neben den Stimmungsbildern aus dem Gerichtssaal reflektiert Garner so das Rechtssystem und fragt, wie die Geschworenen mit solch einer Flut an Spezialwissen umgehen und gewissenhaft ein angemessenes Urteil fällen sollen.

Der Leser ist nah dran an Garners emotionaler Absorption in den Fall, ihren Schwierigkeiten, den grausamen Tod der drei Kinder auszublenden, gerade auch angesichts ihrer eigenen Enkelkinder. Selbst kurz vor der Urteilsverkündung des Berufungsverfahrens ist sie hin und hergerissen zwischen der erdrückenden Beweislage und der irrationalen Hoffnung, ein Freispruch könne den gesamten Fall ungeschehen und die Jungen wieder lebendig machen.

Helen Garner: Drei Söhne. Ein Mordprozess. Aus dem Englischen von Lina Falkner. Berlin Verlag, Berlin 2016. 352 S., 20 Euro. E-Book 16,99 Euro.

© SZ vom 18.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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