Krimikolumne:Form und Zweck

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Seltsame Dinge geschehen gleich zwei Frauen nacheinander in den sterilen Wohnwürfeln des Architekten Edward Monkford. JP Delaney hat seinen Thriller ähnlich streng konstruiert wie die Wohnungen seiner Figuren.

Von Sofia Glasl

Minimalismus ist gerade Mode. Blogs, Bücher und Filme lehren den willigen Selbstoptimierer, sich von äußerem Ballast zu befreien und damit automatisch auch sein Innerstes auszumisten und aufzuräumen. Diesem Trend folgt in JP Delaneys "The Girl Before" der Star-Architekt Edward Monkford aus Überzeugung. Er baut Häuser, die wie Mausoleen aussehen. Sein Stil ist an Peter Zumthors minimalistische Architektur angelehnt. Leere Betonwürfel, die unbewohnt oder gar unbewohnbar erscheinen. Obendrein stattet er sie mit Smart-Home-Technik aus. Über ein Armband passen sich Heizung, Luftfeuchtigkeit und Lichtintensität den aktuellen Bedürfnissen des Bewohners an. Die klinisch saubere Umgebung soll das Leben der Mieter umkrempeln, ihnen Zeit für die wichtigen Dinge verschaffen. Das klingt für mäßig geordnete Menschen verlockend und abschreckend zugleich.

Auf die Erzählstruktur eines Romans angewendet, führt dies zu einem, nun ja, sehr ordentlichen, weil geordneten Ergebnis. In rasch alternierenden Kapiteln erzählen zwei Frauen ihre jeweilige Geschichte in dem Londoner Haus. Emma wohnte "damals" in der Folgate Street 1, Jane "jetzt" drei Jahre später. Das Mietverhältnis in diesem Labor aus Marmor und Glas ist eine Versuchsanordnung. Über 200 Regeln beinhaltet der Vertrag - Shampoo nach der Dusche aufräumen, Geschirr immer gleich spülen, keine Sofakissen. Das scheint erst mal akzeptabel, zumal der Mietpreis für London ein Traum ist. Damit kann man leben, sofern man das Bewerbungsverfahren besteht, das einem Assessment-Center gleicht.

Die Frauen gehen jeweils nach einem Schicksalsschlag eine beinahe organische Symbiose mit dem Haus ein. Unbehagen ob der Überwachungssysteme, die angeblich aus Sicherheitsgründen installiert wurden, empfinden sie erst viel zu spät. Emma ist das titelgebende "girl before" und starb im Haus bei einem Treppensturz. Schnell wird Jane klar: Hier wiederholt sich ein Schicksal, und ob der Sturz ein Unfall oder Mord war, ist auch nicht eindeutig. Ähnlich wie in Daphne du Mauriers Roman "Manderley", die Vorlage für Alfred Hitchcocks ersten Hollywoodfilm "Rebecca", scheint sich das Haus selbständig zu machen und sie wie einen Fremdkörper abzustoßen. Eisiges Duschwasser, Aussetzen des Gasherds und Lichtflackern verunsichern sie. Die kalten, jeden Gedanken abweisenden Räume sind ein schauriges Update schwarzromantischer Geisterhäuser. Steckt der Architekt Edward Monkford dahinter, dessen cleanem Charme Jane wie Emma damals verfällt? Liegen tatsächlich seine tote Ehefrau und der Sohn unter dem Haus begraben? Seine zwanghaft wiederholten Versuche, die perfekte, weil immer gleiche Beziehung zu führen, treibt beide Frauen in einen Strudel aus Angst, Verdacht und Selbstaufgabe.

In dieser die Zeit überspannenden Dreiecksbeziehung ist kaum Platz für Überraschungen. "The Girl Before" ist ähnlich überaufgeräumt wie das Marie-Kondo-Modellhaus, das es zum Protagonisten erhebt. Die mit Bedacht arrangierten psychologischen Brüche der Figuren, die späteren Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit, die falschen Fährten - sie wirken wie auf dem Reißbrett durchchoreografiert und anschließend abgepaust, um sie zu doppeln. Dieses Konstrukt ist elegant arrangiert, ist jedoch schnell durchschaubar und lässt somit wenig Raum für einen langen Spannungsbogen der sonst unspektakulären Detektivgeschichte. Nachdem dieses Erzählpalimpsest deutlich geworden ist, zieht Delaney die Doppelungen scheinbar aus Prinzip weiter durch und generiert so ein ermüdendes Überangebot. Emma zweifelt, Jane zweifelt. Emma will von Monkford loskommen, Jane ebenso. Beinahe könnte man übersehen, dass es in diesen sich fein säuberlich deckenden Geschichten kleine Brüche gibt, die auf Emmas Mörder hindeuten und somit die Stellweichen für Janes Leben sind. Schlau gesetzt sind diese Brüche, doch fehlt hier eine opakere, labyrinthische Struktur als Gegengewicht zum sehr übersichtlichen Überbau des Handlungsgerüsts. Da lassen auch am Ende als Schockmomente gesetzte Wendungen kaum noch richtigen Thrill aufkommen, sondern wirken wie winzige Fehlkonstruktionen des sonst so übersichtlichen Modells.

JP Delaney : The Girl Before - Sie war wie du. Und jetzt ist sie tot. Aus dem Englischen von Karin Dufner. Penguin Verlag, München. 400 Seiten, 13 Euro.

© SZ vom 31.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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