Kriegsfilm:Ewig lockt die Finsternis

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Robert Duvall in einer sehr berühmten Einstellung - wer den Spruch noch nicht kennt, den er gleich sagen wird, sollte die Jubiläumsfassung von "Apocalypse Now" im Kino sehen. (Foto: Verleih)

Francis Ford Coppola bringt eine Jubiläums-Fassung von "Apocalypse Now" ins Kino - eine Reise ins Ungewisse, die bis heute weitergeht.

Von Philipp Stadelmaier

Eine Schnecke kriecht die Klinge eines Rasiermessers entlang. Sie hinterlässt eine Spur aus Schleim und Blut. Sie müsste zerschnitten werden. Aber irgendwie schafft sie es, sich auf der Klinge zu halten, weiter zu kriechen, nicht zu sterben. Das, so die tiefe, dunkle Stimme des Colonel Kurtz auf dem Tonband, habe er beobachtet: "Das ist mein Traum. Mein Albtraum."

Captain Willard hört gebannt zu, während vor ihm das Roastbeef kalt wird, in dieser Offiziersmesse der US-Army irgendwo in Vietnam. Die Kamera gleitet flach über den Tisch, die Hände der Offiziere werden von nervösem Zittern befallen. Willards Hände zittern auch. Weil er zu viel trinkt (wie alle in diesem Krieg). Und weil er gerade in den Bann von Colonel Kurtz gezogen wird.

Die Offiziere, die ihm das Tonband vorspielen, haben einen Auftrag für ihn: Finden Sie Kurtz und beenden Sie sein Kommando. Der ehemalige Elitesoldat ist offenbar verrückt geworden. Mit einigen Getreuen hat er sich in den kambodschanischen Dschungel zurückgezogen, wo er, fernab der offiziellen Befehlskette, ein eigenes Reich mit eigenen Gesetzen errichtet hat. Nachrichten von Hinrichtungen sickern durch, von Terror, von Wahnsinn. Also besteigt Willard, gespielt von Martin Sheen, ein Patrouillenboot und macht sich auf zu Kurtz, der am Ende eines langen Flusses und am Ende des Films auf ihn wartet.

"Apocalypse Now" von Francis Ford Coppola, der 1979 auf dem Filmfestival von Cannes Premiere hatte, wo er mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde, vermag noch vierzig Jahre später eine ähnlich hypnotische Sogwirkung zu entfalten wie Colonel Kurtz. Der wird verkörpert von keinem geringeren als Marlon Brando, der sich zuvor schon für Coppola in den "Paten" verwandelt hatte. Die erste Fassung dauerte zweieinhalb Stunden, 2001 legte Coppola eine "Redux"-Fassung von über drei Stunden vor. Zum vierzigsten Jahrestag der Premiere hat er nun einen "Final Cut" angefertigt, digital restauriert und mit neuen Dolby-Surround-Toneffekten versehen, die Bomben und Gewehrfeuer besonders plastisch hörbar machen. Die neue Fassung, die am 15. Juli in die deutschen Kinos kommt, ist noch immer länger als die originale, aber auch kürzer als die "Redux"-Fassung, sodass der Film nun auf eine Länge von recht genau drei Stunden kommt.

Ein wirkungsvoller Antikriegsfilm, der auf einer Kriegsobsession beruht

So hat man nun die Gelegenheit, einen Film wiederzusehen, der den Vietnamkrieg als Phantasmagorie, als Spektakel inszeniert, um seine Absurdität zu enthüllen. Auf seiner Reise stößt Willard auf eine Playmate-Show mitten im Dschungel und auf einen surfbesessenen Colonel (Robert Duvall), der Wagners "Walkürenritt" spielen lässt, während er mit seinen Hubschraubern ein Dorf angreift - um am Strand surfen zu können. Es sind Szenen, die mittlerweile Kultstatus haben.

"Ich liebe den Geruch von Napalm am Morgen", sagt der surfende Colonel zu Willard, und dieser Satz konnte wohl nur von einem kriegsverrückten Drehbuchautor wie John Milius geschrieben werden, der freiwillig nach Vietnam wollte, wegen seines Asthmas aber nicht durfte. Das von Milius und Coppola verfasste Skript, das auf Joseph Conrads Erzählung "Herz der Finsternis" basiert, wurde deshalb ein so wirkungsvoller Antikriegsfilm, weil es auf einer regelrechten Kriegsobsession beruht. So erzählt Willard aus dem Off, dass er auf seinem letzten Heimaturlaub nur wieder schnell zurück in den Dschungel wollte.

Der Film ist dabei aus einem derartigen Chaos hervorgegangen, dass seine schiere Existenz wie ein Wunder anmutet. Die anekdotenreiche Entstehungsgeschichte wurde von Coppolas Frau Eleanor in ihrer Dokumentation "Hearts of Darkness" festgehalten, die auch ihre eigenen Making-of-Aufnahmen von den Dreharbeiten enthält. Erst sollte Coppolas Kumpel George Lucas Regie führen, aber der war mit "Star Wars" beschäftigt. Also musste Coppola selbst ran. Aber wer sollte Willard spielen? Steve McQueen, Jack Nicholson und Robert Redford lehnten ab, Harvey Keitel wurde gefeuert, und so wurde es Martin Sheen, der zu dieser Zeit starke Alkoholprobleme hatte.

Gedreht wurde auf dem Philippinen, wo Coppola mit einer riesigen Crew anrückte. Die Dreharbeiten sollten relativ kurz dauern - am Ende wurden es achtundsechzig Wochen. Unwetter verwüsteten die Sets, sodass die Crew während des Wiederaufbaus Zeit für Alkohol und Drogen hatte. Ein Soldat auf dem Patrouillenboot ist dauerhaft auf LSD - weil der Schauspieler Sam Bottoms es ebenfalls war. Und wenn in der Eröffnungsszene Willard in seinem Hotelzimmer einen Spiegel zerstört und blutend vor seinem Bett sitzt, dann weil ein betrunkener Martin Sheen tatsächlich durchdrehte und Coppola die Kamera mitlaufen ließ.

Die Schnecke auf der Messerklinge kriecht weiter - es ist die Zeit selbst

Angeblich sind selbst die Leichen echt, die sich am Flussufer auftürmen, je weiter Willard in Kurtz' Gebiet eindringt. Solche gewissenhaften Ausstatter wie jene, die Coppola hatte, würde man heute vergeblich suchen. Später resümierte der Filmemacher: "Wir hatten zu viel Equipment, zu viel Geld, nach und nach wurden wir alle verrückt."

Auch Brando machte bei den Dreharbeiten, was er wollte: Er lehnte das Drehbuch ab, schrieb seinen eigenen Text, rasierte sich den Schädel. Wenn Willard am Ende Kurtz begegnet, dann ist das erste, was wir sehen, seine kahle Kopfhaut. Sein Gesicht bleibt verborgen, eins geworden mit der Dunkelheit und dem "Grauen", über das er sinniert.

Am Anfang des Films singen The Doors "This is the end". Am Ende liest Willard in Kurtz' Notizbuch: "Werft die Bombe, vernichtet sie alle." Am Horizont des Films steht das Ende der Zivilisation, der Welt, die Apokalypse. Doch kann dieser im Wahnsinn entstandene Film über den Wahnsinn jemals zu einer definitiven Form finden? Selbst der neue Final Cut lässt daran Zweifel. Wie final er wirklich ist, bleibt ebenso dunkel wie die Geheimnisse von Kurtz. Die Schnecke, die in Kurtz Vision über die Messerklinge kriecht, das ist die Zeit selbst, und das Grauen, das sie produziert. Coppola schaut ihr beim Kriechen zu. Ein Ende ist nicht in Sicht.

Apocalypse Now - Final Cut , USA 2019 (1976). Regie: Francis Ford Coppola. Buch: Coppola, John Milius, basierend auf einer Erzählung von Joseph Conrad. Kamera: Vittorio Storaro. Mit Marlon Brando, Martin Sheen, Robert Duvall. Studiocanal, 183 Min.

© SZ vom 11.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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