Konzert in München:Geschützte Gemeinschaft

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Der Pianist Leif Ove Andsnes entführt im Prinzregententheater in eine heile Welt.

Von Reinhard J. Brembeck

Väinömäinen heißt der alte Barde in dem berühmten finnländischen Mittelalterepos "Kalevala". Der Pianist Leif Ove Andsnes ist zwar nicht Finne, sondern Norweger, aber er versteht sich durchaus auch als Barde. Immer wieder lässt er den Flügel im Münchner Prinzregententheater so rauschen, als habe er eine Harfe in der Hand. Und unvermutet tauchen dann Einzeltöne, Melodiefragmente oder sogar ganze Gesänge aus diesem Rauschen auf, die wortlos ferne Europawelten des 19. Jahrhunderts beschwören. Mit Sibelius geht es in finnische Ebenen, birkenbestanden und von Hirten durchzogen, mit Schubert und Beethoven wird Wien erinnert, mit Chopin Warschau und Paris.

Leif Ove Andsnes, im elegant grauen Anzug mit blauer Krawatte, ist ganz ein Mann der Mitte, zwar nordisch unterkühlt und mustergültig spielend, aber von der Grundhaltung ganz Romantiker: in Verzögerungen verliebt und in einen vollen warmen Klang. Selbst in "Idyll und Abgrund", in denen sich Komponist Jörg Widmann, Jahrgang 1973, nach Schubert sehnt: Durch modernen Popmusik-, Abfall- und Straßenlärm dringen Schubert-Schnipsel. Doch die Moderne interessiert Andsnes nicht wirklich, sein Reich ist der moderne Konzertflügel, dessen Möglichkeiten er voll ausschöpft, ohne sie zu transzendieren.

So auch in Schuberts späten und unvollendeten drei Impromptus. Andsnes kürzt deren Langatmigkeiten weg, er nähert laut und leise fast bis zur Ununterscheidbarkeit an, versöhnt abrupte Abbrüche mit dem Kontinuum und lässt selbst exponiert hohe Töne nie scheppern. Das ist ein klangprächtiges und völlig beherrschtes Klavierspiel, das sich vor allen Extremen genauso hütet wie vor pathologischen Abgründen. Andsnes führt eine heile Welt, eine "Gated Music-Community" vor, die in keinem Moment einen Bezug zum bösen und grellen Heute erkennen lässt. Dafür wird er geliebt, dafür wird er stürmisch gefeiert.

Ludwig van Beethovens Sturm-Sonate lockt den Pianisten dann doch fast aus der Reserve. Denn Beethoven hat immer die nichtmusikalische Wirklichkeit, ganz egal ob in seinem Inneren oder auf den Schlachtfeldern, fest im Blick behalten, er hat das Außen deshalb immer in seine Stücke einkomponiert. Diese Außenbezüge werden von Andsnes zwar nicht ignoriert, aber doch weitgehend entschärft und in ein völlig in sich austariertes Gesamtbild eingewoben.

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Mit dieser Methode geht Andsnes alle so verschiedenartigen Stücke seines Recitals an. Mit dem Effekt, dass sich der nur selten als Klavierkomponist zu erlebende Sibelius als ein ganz naher Verwandter Schuberts, Beethovens und Chopins entpuppt. Die den Abend abschließende f-Moll-Ballade von Frédéric Chopin erweist sich als Synthese von Andsnes' Ästhetik. Jeder einzelne Gedanke darin ist in sich vollendet schön. Doch die Dramaturgie dieses stark zerrissenen Stücks wird dadurch nicht nachvollziehbar. Weil die Schönheit sich allzu sehr selbst genügt und deshalb keine Entwicklung zulässt. Dagegen funktioniert die als Zugabe gespielte, sehr viel schlichter aufgebaute g-Moll-Ballade von Chopin bei Andsnes sehr viel schlüssiger. Auch hier ist das Zentrum das Rauschen der Harfenklänge, welche die Zuschauer mit unwiderstehlicher Gewalt in die wundersame Welt erhabener Klangperlenspiele lockt.

© SZ vom 06.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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