Konfliktforscher:"Immer irgendetwas mit ,Israel'"

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Der Wissenschaftler Mohammad Darawshe über Kulturförderung als politisches Druckmittel und warum Aufrufe zum Boykott gegen Israel auch die arabische Minderheit treffen.

Interview von Sonja Zekri

Wie reagiert ein Mensch auf Jahrzehnte der Konflikte, der Kriege und der Diskriminierung? Indem er sie studiert. Mohammad Darawshe, 54, geboren in der Nähe der Stadt Nazareth, ist ein arabischer Muslim mit israelischem Pass und einem Abschluss in Friedens- und Konfliktforschung der Universität Haifa. Er gilt als einer der bekanntesten und profiliertesten Analytiker der jüdisch-arabischen Beziehungen, er hat vor dem Europäischen Parlament, der Nato und dem Weltwirtschaftsforum gesprochen - und am Mittwochabend in München. Das Zentrum für Israel-Studien an der Ludwig-Maximilians-Universität hat eine neue "Gastprofessur für Arabisch-Israelische Koexistenz" eingerichtet, und Darawshe ist der erste Dozent. Neben seiner Vorlesung hält er einen Vortrag über die Arabische Minderheit in Palästina. Beim Interview in einem Cafe in Schwabing geht es um weit mehr - beispielsweise die Freiheit der Kunst.

SZ: Israels Künstler klagen über Gängelungen und Zensurversuche durch die Kulturpolitik. Wie sehr ist davon die arabische Gemeinschaft betroffen?

Mohammad Darawshe: Seit Miri Regev Kulturministerin wurde, also seit 2015, versucht sie, die Gesellschaft nach rechts zu rücken. Wer die Regierung kritisiert, ganz gleich, ob Araber oder Israeli, wird nicht mehr gefördert. Regev streicht die Budgets und will die Kommunen zwingen, Auftritte abzusagen. Ihr sind nicht nur Bürger- oder Menschenrechte egal, sondern auch israelische Gesetze, die jene Freiheit der Kunst schützen. Wir Palästinenser in Israel sind israelische Staatsangehörige und wir haben ein Recht auf staatliche Förderung. Kunst meint ja nicht nur Gesang und Tanz, sondern auch den Schmerz über den Verlust unseres Landes. Aber alles, was unsere palästinensisch-arabische Identität formuliert, wird von den Rechten und dem Kulturministerium bekämpft.

Beispiele, bitte.

Das Masrah al-Midan in Haifa ist ein Theater, das früher staatliche Förderung bekam, jetzt aber nicht mehr, genauso wenig wie das jüdisch-arabische Theater in Jaffa, weil die palästinensisch-arabische Identität ein Thema der Stücke war. Filme, die die Besatzung kritisieren, bekommen keine Förderung mehr.

Vor kurzem hat der Konflikt Deutschland erreicht: Premier Benjamin Netanjahu hat Kanzlerin Angela Merkel aufgefordert, die Förderung für das Jüdische Museum in Berlin und die Berlinale einzustellen. Beide förderten antiisraelische, ja antisemitische Propaganda, so der Vorwurf.

Soweit ich weiß, hat die israelische Seite das Schreiben später zurückgezogen. Eine solche Einmischung in die deutsche Politik ist ja eigentlich unvorstellbar, ein Witz, eine Dummheit. Aber es geht ihm gar nicht um Deutschland, vielmehr will er den Israelis demonstrieren, wie sehr Israel bedroht ist, wie gefährlich der äußere Feind, der Dämon ist. Außerdem versucht er, die jüdischen Gemeinschaften außerhalb Israels zu radikalisieren, damit sie sich zwischen ihn und die Regierung dieser Länder stellen. Um zu verhindern, dass Deutschland Netanjahus Politik in Gaza oder im Westjordanland kritisieren, greift er selbst an und am einfachsten geht das durch den Vorwurf des Antisemitismus bei jeder Art von Kritik.

In dem Schreiben an Merkel spielt das umstrittene Netzwerk BDS (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen) eine große Rolle. Für wie gefährlich, wie antisemitisch halten Sie den BDS?

Ich habe keinen Kontakt zum BDS und halte ihn nicht insgesamt für antisemitisch. Es gibt ja auch sehr unterschiedliche Ausprägungen. Dort finden sich beispielsweise Menschen, die sich gegen jeden einsetzen, der von der Besatzung profitiert, etwa gegen Firmen, die illegalen Siedlern Waffen verkaufen. Diese Menschen stellen eine legitime Forderung. So haben wir es damals bei Südafrika auch gemacht. Warum soll das in Israel anders sein?

Weil solche Boykottaufrufe in Deutschland manche an den Nazi-Slogan "Kauft nicht bei Juden" erinnern.

Das ist die deutsche Perspektive. Für mich ist entscheidender, dass ein Teil der BDS-Anhänger einen vollständigen Boykott Israels fordert. Das kollidiert mit unseren Interessen als israelische Staatsbürger. Wir Araber in Israel bemühen uns darum, mehr palästinensische Studenten und Professoren an israelische Hochschulen zu bringen. Unsere Strategie besteht in der Integration, nicht in der Desintegration. Wer israelische Hochschulen boykottiert, schadet also auch uns. Ich will nicht, dass die Universität in Tel Aviv boykottiert wird, denn da macht meine Tochter ihren Master in Genetik. Und: Wir kämpfen darum, dass israelische Firmen Arbeitsplätze für arabische Bürger schaffen. Ein genereller Boykott israelischer Firmen schadet uns.

Wie viele Palästinenser in Israel teilen diese integrative Haltung?

Die meisten. Fast 70 Prozent von uns beschreiben ihre Identität als "Bindestrich-Identität". Wir sind nicht einfach Araber oder Palästinenser oder Muslime, sondern immer irgendetwas mit "Israel": Palästinensische Bürger in Israel, palästinensische Israelis, arabische Israelis, israelische Araber, es gibt 21 Versionen dieser Formulierung. Es ist die Folge einer doppelten Marginalisierung. Nicht nur die israelische Gesellschaft schließt uns aus, sondern auch die arabischen Gesellschaften, weil die Annahme der israelischen Staatsbürgerschaft lange als Verrat galt. Wir haben keinen Staat und keine Nation, machen wir also etwas Eigenes daraus.

Sie haben 2016 in Deutschland ein halbes Jahr über ethnische Minderheiten recherchiert. Was war Ihr Ergebnis?

Ein Widerspruch. Deutschland braucht Zuwanderung, weil die Gesellschaft überaltert ist und Fachkräfte fehlen. Aber die Zuwanderer sollen ihre kulturelle und religiöse Identität aufgeben. Wie sollen sie dann die Fähigkeit zur Integration entwickeln? Das läuft nicht auf Integration hinaus, sondern auf Assimilation. Ich würde das nicht wollen, ich mag meine Identität. Ich spreche besser Hebräisch als 90 Prozent der jüdischen Israelis und habe das auch von meinen Kindern verlangt. Aber sie müssen auch die Lyrik von Mahmud Darwisch kennen.

© SZ vom 16.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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