Kommentar:Momente für die Zukunft

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Die Salzburger Festspiele stehen kurz vor der Halbzeit und zeigen, wie sie in Zukunft relevant bleiben können.

Von Egbert Tholl

Derzeit gibt es in Salzburg vor allem ein Gesprächsthema, es handelt davon, was Peter Sellars und Teodor Currentzis mit Mozarts Oper "Idomeneo" gemacht haben. Darf man das, in die Werkgestalt eingreifen, Arien, deren Inhalt man nicht erträgt, durch andere ersetzen, die meisten der ohnehin meist enervierend trögen Secco-Rezitative streichen? Die Salzburger Festspiele sind ein Branchentreffen in vielerlei Hinsicht, so lernt man hier Kollegen kennen, bewundernswürdige Koryphäen der musikalischen Analyse beispielsweise, die die derzeitigen Aufführungen von "Idomeneo" als persönlichen Anschlag auf ihre Ehre und ihr Seelenheil betrachten. Hört man dem Publikum zu, so ist dieses in Teilen eher davon genervt, auf einem 400-Euro-Sitzplatz in der Felsenreitschule mit Klimawandel und Umweltzerstörung konfrontiert zu werden und sich nicht einfach genüsslich zurücklehnen zu dürfen.

Darf man also machen, was Sellars und Currentzis taten? Man darf, ja man muss sogar. Man muss hier gar nicht noch einmal die Diskussion führen, dass Oper als Kunstform nur überlebt, nur dann neues, jüngeres Publikum anzieht, wenn diese Kunstform in irgendeinem Bezug zur Gegenwart steht - deshalb ist die Inszenierung als mahnende Installation zur Umweltzerstörung wichtig. Was den Eingriff in die Werkgestalt angeht, so ist man immer wieder verdutzt, dass im Sprechtheater etwas Usus ist, was im Musiktheater immer noch Kopfschütteln auslöst. Dabei ist das, was Currentzis dirigiert, absolut zwingend, darauf kommt es an. Und schließlich: Die Salzburger Festspiele sind ein Festival, bei dem mehr möglich sein muss als im Normalbetrieb der großen Repertoire-Opernhäuser. In dieser Hinsicht, auch als eine mögliche Perspektive in die Zukunft, ist der "Idomeneo" beispielhaft.

Radikal zotig, derb, verrückt ist die Sechs-Stunden-Lesung des "Ulysses"

Es ist knapp Halbzeit im Salzburger Sommer, und die Ausbeute ist ambivalent. Sängerisch am beeindruckendsten war bislang eine konzertante Aufführung, die von "Adriana Lecouvreur" mit Anna Netrebko - die ihren sensationellen zweiten Auftritt nun leider mit einer verordneten Ruhepause bezahlt. Das andere szenische Experiment in der Oper neben "Idomeneo" - Simon Stones Inszenierung von Cherubinis "Médée" - war keines, sondern lediglich die ebenso banalisierende wie holprige Verschiebung eines großen Stoffs in die kümmerliche Welt eines Vorabend-Fernsehrealismus, zudem musikalisch kaum festspielwürdig.

Im Schauspiel litt die - neben dem "Jedermann" - einzige originäre Eigenproduktion, Gorkis "Sommergäste", darunter, dass Regisseur Evgeny Titov einspringen musste. Aber immerhin hatte er noch fast drei Monate Zeit, im schon bestehenden Bühnenbild etwas Eigenes zu entwickeln. Nun, eigen war's. Wenn auch schlimm. Eigener zumindest als die brav erzählende Inszenierung von Thomas Ostermeier, Horváths "Jugend ohne Gott".

Die imposanteste Schauspielproduktion war bislang gar kein Theater, sondern die Sechs-Stunden-Lesung des "Ulysses". Dafür hat die Salzburger Schauspielchefin Bettina Hering den Roman von James Joyce selbst eingerichtet. Mit Volker Bruch (der Kommissar Gereon Rath aus "Babylon Berlin"), Corinna Harfouch, Burghart Klaußner und Birgit Minichmayr war die Besetzung ein echtes Festspiel, war dann reines Sprach- und Sprechtheater. Vor allem: Herings Fassung ist radikal zotig, derb, verrückt, handelt vor allem von Lust und Gier, aber ist dabei knallhart modern. Wer "Ulysses" als Bildungshuberei begreifen will, ist hier falsch. So wie im "Idomeneo". Aus solchen Momenten, wie auch denen der Konzertreihen mit zeitgenössischer Musik, speist sich die Zukunft der Festspiele. Hier muss das möglich sein.

© SZ vom 10.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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