Kommentar:Kündigen gehört zum Geschäft

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Christine Dössel ist Theaterkritikerin im Feuilleton. (Foto: Niemand)

Das Ensemble des Bayerischen Staatsballetts wird radikal ausgetauscht. Ein Skandal? Nein, der Wechsel ist Teil des Systems.

Von Christine Dössel

In der Münchner Tanzgemeinde gibt es einen Aufschrei, von einer "Massenentlassung" ist die Rede, manche nennen es einen Skandal: Mit dem Abschied von Ballettchef Ivan Liška zum Saisonende verlassen 29 von 63 Tänzern das Ensemble des Bayerischen Staatsballetts. Das ist viel, fast die Hälfte - einige gehen freiwillig, viele müssen gehen. Liškas Nachfolger, der Russe Igor Zelensky, wird, wenn er in München anfängt, neue Tänzer mitbringen, zum Beispiel aus seinem Moskauer Stanislawski-Ballett, dessen Leitung er beibehält.

Hart? Ja. Und für viele sicher bitter, auch für die Zuschauer, aber ein Skandal ist es nicht. Eher (trotz der hier hohen Zahl): normal. Intendantenwechsel gehören in den Bühnenkünsten dazu wie Wahlen in der Politik und haben oft ebenso einschneidende "Kabinettsumbildungen" zur Folge. Erst recht nach langen künstlerischen Intendanzen - Liška war in München 18 Jahre im Amt. Wenn ein Neuer oder eine Neue antritt, dann bringt er oder sie selbstverständlich auch neue Leute mit. Jeder Intendant, zumal wenn er selber auch noch Regisseur oder Choreograf ist, umgibt sich mit einem Team seines Vertrauens, braucht künstlerische Partner und Wegbegleiter, auf die er bauen kann, die sein Konzept, seinen Stil, seine Handschrift mitgeprägt haben und am neuen Ort weiter mitprägen sollen. Auch "Verjüngung" ist immer ein Thema - und eine Aufgabe.

Es gibt durchaus auch sanfte Übergänge, etwa als Johan Simons 2009 an den Münchner Kammerspielen auf Frank Baumbauer folgte und das Haus mit dem Gros des alten Ensembles auf demselben künstlerischen Weg weiterführte. Oft braucht es aber harte Schnitte, um ästhetisch einen Kurswechsel einzuläuten. Als Martin Kušej 2011 von Dieter Dorn das Münchner Residenztheater übernahm, hätte er wohl kaum mit dem alteingesessenen, fest aufeinander und aufs Publikum eingeschworenen Dorn-Ensemble ein eigenes Profil entwickeln können.

So grausam das für Menschen mit Beamtenstatus klingen mag: Der Wechsel im künstlerischen Personal ist im Theatergeschäft Teil des Systems, part of the business, jeder Künstler weiß, worauf er sich da einlässt. Schauspieler, Sänger und Tänzer erhalten immer nur befristete Arbeitsverträge, meistens für eine Spielzeit, manchmal sind es Drei- oder Vierjahresverträge. Wird nicht explizit eine Nichtverlängerung ausgesprochen, verlängert sich das Arbeitsverhältnis automatisch. Ist jemand länger als 15 respektive 19 Jahre am Haus, kann der befristete Vertrag nicht mehr komplett beendet werden, da kommt man dann in die Unkündbarkeit hinein, die ein jedes Haus zu vermeiden trachtet.

Beim technischen Personal sieht es anders aus, Bühnentechniker sind Teil des öffentlichen Dienstes und haben Tarifverträge, auch Orchestermusiker sind mit unbefristeten Verträgen ausgestattet, sie bleiben, wenn die Orchesterleitung wechselt. Es sind die Schauspieler, Sänger und ganz besonders die Tänzer, die oftmals nur für die Dauer einer Intendanz und für einen ganz bestimmten ästhetischen Kurs an einem Haus sind.

Von solch "prekären" Arbeitsverhältnissen indes können die Kollegen in Frankreich, England oder Italien nur träumen. Denn in den anderen Ländern Europas bekommen die Bühnenkünstler überhaupt keine Arbeitsverträge über einen längeren Zeitraum, sie müssen sich jeweils von Produktion zu Produktion hangeln. Dagegen ist die Situation der Schauspieler und Tänzer im deutschsprachigen Ensemble- und Repertoiresystem geradezu komfortabel. Auch wenn es kein gemachtes Nest für alle Zeiten ist. Aber das wäre ohnehin der Tod der Kunst.

© SZ vom 04.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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