Kommentar:Berlin ist nicht Braunschweig

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Das Stadtschloss in der Hauptstadt: Sein Innenleben wird mit dem Augenschein harmonieren müssen.

Gerhard Matzig

Manchmal ist es besser, die Kirche im Dorf zu lassen. In gewisser Weise gilt dies auch für das Stadtschloss in Berlin, beziehungsweise für die Gegner der Rekonstruktion, die jetzt in greifbare Nähe gerückt ist. Nach langen Verhandlungen wurde am Montag bekannt, dass sich Berlin nun doch mit 32 Millionen Euro beteiligen wird. 80 Millionen Euro will ein Förderverein aufbringen - und der Rest soll vom Bund finanziert werden.

Damit ist auch die letzte Hürde genommen, die der Vollendung des insgesamt 480 Millionen Euro teuren Projektes im Wege stand: Im Jahr 2013 könnte also das teils exakt rekonstruierte, teils auch nur nachgestellte Schloss als "Humboldt-Forum" eröffnet werden. Das ist eine bemerkenswerte Nachricht. Wer hätte, trotz freundlicher Konjunkturdaten, an die rasche Verwirklichung der Berliner Schloss-Träume geglaubt?

Es ist aber keineswegs so, dass sich die Kritiker des Vorhabens diesen Tag schwarz anstreichen müssten. Richtig ist: Keines der vorgebrachten Argumente, die eine unter kunst- und bauhistorischen Aspekten fragliche Rekonstruktion betreffen, hat sich durch die neue Finanzlage erledigt. Wenn es falsch ist, ganze Fassadenabschnitte ohne präzise Kenntnis ihres Aussehens und ihrer Konstruktion nachzuempfinden, dann ändert das Vorhandensein von Geld daran nicht das Geringste. Und beim konkreten Wiederaufbau, der schon im Spätsommer durch einen internationalen Architektenwettbewerb initiiert werden soll, wird die Frage der baukulturellen und technischen Präzision erneut eine Rolle spielen.

Sehnsucht, die "aus der Mitte" der Gesellschaft kommt

Falsch wäre es aber, nicht einsehen zu wollen, dass sich nun in der Mitte Berlins, nämlich anstelle des 1950 gesprengten, dann durch den "Palast der Republik" ersetzten Stadtschlosses, eine Sehnsucht Bahn bricht, die analog dazu ebenfalls "aus der Mitte" der Gesellschaft kommt. Seit im Juli 2002 der Bundestag über die Rekonstruktion debattierte (und sich dafür ausgesprochen hat), ist es beinahe irrational geworden, sich überschäumend gegen ein Vorhaben zu stemmen, das von der großen Mehrheit gewollt wird. Die Rekonstruktion des Berliner Schlosses ist längst legitimiert.

Allerdings garantiert dies nicht, dass das Projekt auch glücken muss; dass also ein Bau entsteht, der in der Lage wäre, in stadträumlicher und ästhetischer Hinsicht identitätsstiftend auszustrahlen. Die neuen Berliner Schlossherren sind deshalb gut beraten, das erst vor einigen Tagen präsentierte Stadtschloss in Braunschweig zu besichtigen, das ebenfalls eine Rekonstruktion ist.

Das Beispiel lehrt, zum einen, dass sich große, geschlossene Baukörper nur dann ins Stadtbild fügen oder sogar damit versöhnen, wenn die Fassaden plastisch und somit räumlich wirksam ausgearbeitet sind. Die trübsinnige Schmucklosigkeit so mancher zeitgenössischer Kaufhausarchitektur muss sich die Niederlage gegen die überkommene Schloss-Ästhetik, ob barock oder klassizistisch, endlich eingestehen. Zum anderen aber ist auch dies in Braunschweig zu studieren: Sobald das Innenleben mit dem Augenschein nicht mehr harmoniert (in Braunschweig bemäntelt eine dünne Schlossfassade ein simples Einkaufszentrum), gerät auch das ästhetische Erleben zur kläglichen Disharmonie.

Für Berlin heißt das: Es ist gut, dass das Humboldt-Forum ausschließlich kulturell genutzt werden soll. Gut also, dass die blamablen Luxushotelpläne vom Tisch sind. Es kommt aber darauf an, die Rekonstruktion auch im räumlichen Zuschnitt so angemessen wie nur möglich zu gestalten. Wo auch immer sich die relativ gut dokumentierte Baugeschichte des Stadtschlosses umsetzen lässt, sollte das geschehen. Das gilt auch für das Innere. In Braunschweig halten sich die wiedergewonnene Stadtraumqualität und die Enttäuschung über das dumpfe, krämerhafte Innenleben die Waage. In Berlin darf das nicht passieren.

© SZ vom 24.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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