Kolumne "Mediaplayer":Alexandria, die Große

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Alexandria Ocasio-Cortez in der Dokumentation "Frischer Wind im Kongress". (Foto: Netflix)

Ein Netflix-Dokumentarfilm über die Wahl zum US-Kongress im letzten Jahr, die frischen Wind in die Politik brachte.

Von Vanessa Prattes

Als jüngste Frau, die jemals in den Kongress gewählt wurde, eroberte Alexandria Ocasio-Cortez, 28, letztes Jahr die amerikanische Politik. Die Zeit in den sechs Monaten vor der Wahl glich einem kräftezehrenden Feldzug in ungewisse Territorien. Ihre Gegner waren etablierte Politiker, die sie als Kandidatin nicht ernst nahmen. Die Regisseurin Rachel Lears war mit ihrer Kamera dabei, wie die Kellnerin Alexandria Margaritas mixt, nervös an fremden Türen klingelt, Wahlplakate klebt, und wie sich ihre Stimme um zwei Oktaven erhöht, wenn sie die Leute auf der Straße anspricht.

Die Dokumentation "Knock Down the House / Frischer Wind im Kongress", die nun auf Netflix zu sehen ist, porträtiert vier Frauen, die ohne politische Erfahrung 2018 für den Kongress kandidierten. Alexandria, die ambitionierte Kellnerin; Paula Jean Swearingen, Businessfrau aus einer Bergarbeiter-Familie in West Virginia; Cori Bush, Krankenschwester, Pastorin und Mutter zweier Teenager, sowie Healthcare-Aktivistin Amy Vilela, die für den Tod ihrer Tochter das Gesundheitssystem der USA verantwortlich macht. Mit ihrer Handkamera ist die Regisseurin dem Alltag der Frauen nah - und hält gleichzeitig einen historischen Moment fest. Nach der Wahl zogen so viele Frauen, politische Außenseiter und Angehörige von Minderheiten in den Kongress ein wie noch nie zuvor.

Ocasio-Cortez wird als Arbeiterin gezeigt, mal schiebt sie einen schweren Eimer mit Eiswürfeln in den Fahrstuhl, mal hilft sie im Taco-Imbiss aus. "Ich war 18 Stunden auf den Beinen, ich habe viel mitgemacht", sagt sie. Sie strahlt als Frau aus dem Volk, die sich gegen den beinahe dämonisch wirkenden Mandatsinhaber Joe Crawley durchsetzt.

Auf einer Crowdfunding-Seite stellten Rachel Lears und ihr Produzent Robert Blotnick ihren geplanten Film als Teil des Kampfs für mehr Diversität in der Politik vor. Das "people-powered" Projekt, wie es die Filmemacher bezeichnen, wurde von 400 Unterstützern mit gut 28 000 Dollar gefördert. Für eine Spende von 35 Dollar erhielt man einen exklusiven Guide, wie man kandidiert und einen Wahlkampf organisiert, von den vier porträtierten Frauen. Ein weiteres David-gegen-Goliath-Szenario kristallisiert sich im Laufe der Dokumentation heraus. Der starke Zusammenhalt der Frauen gegen ihre Gegner wird von Minute zu Minute spürbarer. Es geht nicht um einzelne Kandidaten, sondern um alte Machtverhältnisse, an deren Ende der Präsident Donald Trump steht. Ihre gemeinsame Mission ist es, die Zusammensetzung des Kongresses zu verändern, der vor der Wahl noch aus 81 Prozent Männern bestand, die meisten von ihnen weiß und reich. Das Ganze wirkt wie eine neue Frauenbewegung, mit modernem feministischen Unterton.

"Justice Democrats" und "Brand New Congress" sind Graswurzelbewegungen, die Außenseiter-Kandidaten für die Kongresswahl rekrutieren, um gegen etablierte Politiker anzutreten. Die Gruppen erhielten mehr als 10 000 Nominierungen durch Crowdsourcing, Alexandria Ocasio-Cortez wurde von ihrem Bruder nominiert. "Unsere Mission ist es, eine neue Art von demokratischer Mehrheit im Kongress zu wählen, eine, die eine florierende Wirtschaft und Demokratie schafft, die für das Volk funktioniert, nicht für die Interessen des großen Gelds", steht auf der Website der "Justice Democrats".

Für sie sei das größte gemeinsame Ziel die Entfernung des zerstörenden Einflusses von Geld auf die Politik, sagt Corbin Trent, Mitglied der "Justice Democrats". "Es geht darum, einen anderen Weg in den Kongress zu finden." Für diesen suchten sie Kandidaten, egal ob Republikaner oder Demokraten, mit anderer Herkunft und anderen Bildungshintergründen, die für die Zwischenwahlen 2018 antreten sollten. Es ging vor allem um Menschen ohne klassische politische Vita, wie Krankenschwester, Lehrer, oder Ingenieure. Doch im Fokus steht in den 86 Minuten die strahlende Alexandria Ocasio-Cortez. "Es geht nicht um links oder rechts, sondern um oben und unten", sagt AOC, wie sie oft genannt wird. Ihr politischer Sieg eignet sich schließlich perfekt für den dramaturgischen Höhepunkt.

Frischer Wind im Kongress ist auf Netflix abrufbar.

© SZ vom 06.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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