Kolumne: Deutscher Alltag:Schätze der Hamster

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Ein ausgestopfter Eichelhäher, verrostete Gewehrpatronen, ein alter Knobelbecher: Ob Speicher oder die Ecke im Schrank, magische Erinnerungsorte gibt es überall.

Kurt Kister

Der Wohnblock der sechziger Jahre hatte zwei Geheimnisorte: den Speicher und den Keller. Der Keller war unheimlicher als der Speicher, und er war auch unzugänglicher. Die Abteile, Käfige aus Lattenrosten, waren oft nicht einsehbar, weil die Mieter Sichtschutz aus Decken, Pappkartons oder Wehrmachts-Zeltbahnen großdeutscher Provenienz angebracht hatten. Als Kind stellte man sich allerlei dunkle Dinge hinter diesen verrammelten Verschlägen vor - Kisten voller Kriegsbeute, Schnapsvorräte, Folterbänke. In Wirklichkeit lagerten dort nur Kohlen oder Heizöl, ein Fahrrad, Kartoffeln sowie gestaltloser Erinnerungsmüll.

Messi-Wohnung oder verborgene Schätze? Drei Stock über dem Kinderzimmer direkt unter dem Dach wartete eine andere Welt. (Foto: Foto: ap)

Vorsicht vor Hausmeister Szygulla und Opa Müller

Der Speicher dagegen war nicht mit Lattenrosten vernagelt und abgetrennt. Man konnte zwischen der zum Trocknen aufgehängten Wäsche hindurchschlüpfen und in Augenschein nehmen, was die Nachbarn so alles aufhoben. Man durfte sich nur nicht vom Hausmeister, er hieß Szygulla oder so ähnlich, erwischen lassen. Außerdem musste man auch dem bösartigen Opa Müller aus dem dritten Stock entgehen, der gerne mal ein Brikett nach den Bankerten warf.

Bewegte man sich aber leise und vorsichtig auf dem Speicher, konnte man die tollsten Dinge finden. Kisten voller Zeitschriften, altes Spielzeug, Knobelbecher und einen Mantel vom Reichsarbeitsdienst, einen ausgestopften Eichelhäher. Man durfte nichts mitnehmen, und alles musste so zurückgelassen werden, wie man es vorgefunden hatte. Aber man wusste, dass drei Stock über dem Kinderzimmer direkt unter dem Dach eine andere Welt wartete. Man wusste das 40 Jahre vor Harry Potter.

Da wäre noch der Eichelhäher...

Später dann, als Erwachsener, hatte man nicht immer Wohnungen mit Keller und Speicher. Aber es gibt trotzdem in fast jeder Wohnung diese Plätze, an denen Dinge aufgehoben werden, die man eigentlich nur noch hat, weil man sie nicht wegwerfen möchte. Rechts unten im Kleiderschrank zum Beispiel stapeln sich ein paar Schachteln mit allerlei Memorabilia, eine Tüte mit zwei Plastrons zu einem längst fortgegangenen Smoking und etwas Zeug aus Amerika. Man mag es gar nicht aufräumen, weil man sonst traurig würde über Verlorenes. Und außerdem darf man es nicht aufräumen, weil es diese Hamsterorte unbedingt geben muss.

Hin und wieder läuft ein Krimi im Fernsehen, in dem ein Kommissar solche Hamsterorte durchforstet, weil der Wohnungsinhaber unter ungeklärten Umständen verschieden ist. Man stellt sich dann selbst vor, wie das wohl wäre: Fremde Leute mit Gummihandschuhen finden den nie unterschriebenen Arbeitsvertrag aus Hamburg, wundern sich über eine sehr große, getrocknete Wespe und drei grünlich oxidierte Gewehrpatronen. Hätte man ihn nicht bei einem Umzug verloren, wäre da auch noch der Eichelhäher aus dem Speicher. Es gibt Dinge, die nahm man eben doch mit.

© SZ vom 08.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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