Klassikkolumne:Überall Beethoven

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2020 steht der 250. Geburtstag Beethovens an, was sich auch in einer Schwemme neuer Platten äußert. Mit Veröffentlichungen unter anderem von Jinnge Yan, 1986 in Peking geboren, der im Haus des Komponisten in Bonn dessen Klaviersonaten aufnahm.

Von Wolfgang Schreiber

Beethovenjahr ist permanent, immer Begeisterung. Gegründet wurde eine Bonner "Beethoven-Jubiläumsgesellschaft GmbH", die für 2020 betreutes Feiern anbietet. Die Geburtsstadt pflegt ihr Amtsdeutsch: "Die lokalen Strukturen der Beethovenpflege werden so nachhaltig gestärkt und ausgebaut." Komponist pflegeleicht, ausbaufähig. Pflegekräfte beleben den Plattenmarkt.

Eine der unerwarteten Musiken aus der Beethoven-Welt stammt nicht vom Meister selbst, vielmehr von dem jüngeren Wiener Geigenvirtuosen und Komponisten Franz Joseph Clement. Beethoven widmete ihm sein Violinkonzert, nachdem er 1805 dessen Violinkonzert in D-Dur gehört hatte. Darin verbindet sich der Ideenhorizont in Beethoven-Nähe mit Handwerk. Der Dirigent und Musikausgräber Reinhard Goebel hat das Konzert mit der Geigerin Mirijam Contzen und dem WDR-Sinfonieorchester aufgenommen, gleich auch Clements zweites, beethovensch anmutendes Violinkonzert als "Weltersteinspielung" (Sony Classical).

Im Beethoven-Haus zu Bonn nahm der Chinese Jingge Yan, 1986 in Peking geboren, die Klaviersonaten Beethovens auf. Er legt jetzt einen weiteren Teil vor, acht Sonaten der "mittleren" Schaffensphase. Ernüchternder Ergebnis: Die "Pathétique" lässt er solide Revue passieren und die f-Moll-Sonate "Appassionata" vor allem notengetreu. "Kämpferisch und leidenschaftlich" seien sie, so Yan im Booklet - und bleibt ihnen doch Emotionalität und schärfere Akzente schuldig. Die "Pastorale" op. 28 und die drei Sonaten der Opus-31-Serie nimmt er mit gründlichem Zugriff, doch mit nur schwacher Subjekt-Entschiedenheit. (Fontenay Classics).

Beethovens kämpferischer Subjektivismus weist in die Zukunft der Romantik, der Moderne. Seine eigene musikalische Gegenwart, die Musikwelt, in die der junge Beethoven in Wien eindrang, hörte auf die erlauchten Namen Joseph Haydn, seinen Lehrer, und Wolfgang Amadé Mozart, den der Bonner wenigstens noch kennenlernen durfte. Um Beide geht es in der 8-CD-Edition mit dem Stuttgarter Dirigenten Karl Münchinger, Jahrgang 1915, der lange vor den "historischen" Aufführungspraktiken mit seinem Stuttgarter Kammerorchester den Barock- und Klassikmusikstil nach 1950 prägte. Geradeaus lebhaft bis flott in Allegro-Tempi, in langsamen Sätzen akkurat besonnen, voll im Schönklang, so musizierte Münchinger, hier mit den Wiener Philharmonikern, schneidig sechs große Haydn- und einige Mozart-Symphonien sowie, mit den Stuttgartern und den Solisten Christian Ferras oder Wilhelm Kempff, charmant Mozart-Konzerte. Zum Rückblick-Hören (Decca).

Beethoven liebte es, wie alle Komponisten, ältere Musiken zu bearbeiten. Sein moderner Kollege aus Italien, der Komponist Luciano Berio, war der unermüdliche Transporteur des musikalisch Alten ins klanglich Neue, ein Meister der Veränderungen. Im Album "Transformation" sind etliche von Berios hellhörigen Übertragungen in Ensemble-Klangbilder versammelt: Das beginnt mit dem Ausschnitt aus Bachs Kunst der Fuge, führt über Gustav Mahlers frühe Klavierlieder hin zur großen späten Klarinetten-Sonate Nr. 1 von Johannes Brahms, hier poetisch aufgeladen von Daniel Ottensamer und dem Sinfonieorchester Basel unter Ivor Bolton. Vier tolle Zugaben der Anverwandlung: Berio hat 1967 Beatles Songs kammermusikalisch überhöht, ausgeleuchtet: "Yesterday", "Ticket to Ride" und, gleich doppelt, "Michelle", schön und schräg veredelt durch die Sopranistin Sophia Burgos (Sony).

Beethoven war achtzehn, als 1789 in Paris die Französische Revolution die Alte Welt stürzte und damit seinem politischen Bewusstsein die Richtung vorgab. Wie hätte er auf die Weltkriege des 20. Jahrhunderts reagiert? Wie Dmitri Schostakowitsch? Dem gelang es mit der siebenten Symphonie, der "Leningrader", den Widerstand und den späteren Sieg der Russen über jene deutsche Armee zu feiern, die seiner Heimatstadt im "Vaterländischen Krieg" die Blockade von über zwei Jahren aufgebürdet hatte. Mariss Jansons nahm mit seinen Sinfonikern des Bayerischen Rundfunks das Werk noch einmal auf. Es sei an den gerade in St. Petersburg gestorbenen Dirigenten erinnert, für den Schostakowitsch der große musikalische Zeuge des Jahrhunderts gewesen ist (BR Klassik).

© SZ vom 07.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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