Klassiker:Hut steht ihm gut

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Ein Wiedersehen mit Philip Marlowe: "Die Blonde mit den schwarzen Augen" des irischen Schriftstellers John Banville ist eine Hommage an das Noir-Genre.

Von Christopher Schmidt

Alles beginnt mit einem falschen und endet mit lauter echten Toten - und fast wäre der Ermittler einer von ihnen geworden. Ein Mann ist spurlos verschwunden. Und wurde wenig später am helllichten Tag gesehen, und zwar von derjenigen Frau, die nach ihm suchen lässt und die zugleich bestätigt, sie sei dabei gewesen, als er ums Leben kam. Doch warum beauftragt sie einen Privatdetektiv, um eine Leiche zu finden, die so lebendig zu sein scheint wie sie selbst? Entweder diese Clare Cavendish ist schizophren, oder sie sagt nicht die Wahrheit. Aber: Können diese Augen lügen, Augen, die so schwarz glänzen wie feuchtes Robbenfell?

Der sentimentale Ich-Erzähler glaubt diesen Augen längst mehr als den Lippen, die immer ein wenig angeschwollen aussehen, als hätten sie kürzlich viel geküsst, "und zwar keine Babys". Vielleicht hat Nico Petersen sein Ableben nur inszeniert, damit er untertauchen kann. Als das Telefon klingelt, ist es der Vermisste selbst, der anruft, und er meldet sich keineswegs aus dem Jenseits. Also könnte Clare Cavendish, die Femme fatale, die behauptet, es ginge um ihren Ex-Lover, genau das eine Teil des Puzzles sein, das nicht passt. Befördert sie die Aufklärung eines Verbrechens, um davon abzulenken, dass sie daran beteiligt war? "Alle Pistolen, selbst die zierlichsten, können Löcher in die härtesten Herzen schießen", heißt es einmal. Und Clare Cavendish hat gut gezielt.

Banville weiß sehr gut, dass die mythischen Helden nur Papiergötter sind

Wir kennen diesen von der Liebe angeschossenen Mann nur zu gut, er heißt Philip Marlowe und ist das berühmte Private Eye aus den Hardboiled-Romanen von Raymond Chandler (1888-1959). Mehr als ein halbes Jahrhundert nach Chandlers Tod ist eine der legendären Detektiv-Figuren des Genres nun wieder auferstanden von den Toten, zum Leben erweckt durch den irischen Schriftsteller John Banville, der sich Benjamin Black nennt, wenn er Kriminalromane schreibt. Und weil er offensichtlich viel Spaß hat am verdeckten Schreiben, zieht er sich nun den alten Hut eines großen Vorbilds so tief ins Gesicht, dass man zweifelt, wen man vor sich hat: John Banville oder Raymond Chandler. Black alias Banville hat einen ungeschriebenen Philip-Marlowe-Roman geschrieben, komponiert aus lauter ikonischen Versatzstücken der bekannten Bücher. Sogar der Titel "Die Blonde mit den schwarzen Augen" stammt von einer Liste mit möglichen Roman-Titeln, die Chandler erwog.

Jeder, der gerade unterbeschäftigt war, konnte sich in San Francisco oder Oakland auf die Suche nach dem verschwundenen Pärchen machen. (Foto: Hans Hillmann/Avant-Verlag)

Dieser Marlowe-Roman ist also vor allem ein Beispiel perfekter Mimikry und damit ein Fall für die literaturkritische Spurensicherung - wobei das Verwirrspiel um die echten und die falschen Toten im Buch durchaus als metafiktionaler Verweis gelesen werden kann auf die echte und die falsche Identität, das eigentliche und das uneigentliche schriftstellerische Ich des Autoren-Doppelgängers Banville. Der Roman ist gespickt mit Anspielungen und Referenzen auf die Marlowe-Krimis. Bis hin zum roten Alfa-Romeo-Cabriolet von Clare Cavendish, einem Detail, das sie gemäß der Blondinen-Typologie aus "Der lange Abschied" (1954) ausweist als "die Superblondine, das Prachtstück zum Vorzeigen, das drei Klassegangster hinter sich bringt und dann ein paar Millionäre heiratet". Bei aller Vintage-Romantik gerät Banvilles Hommage jedoch nie zu einer hölzernen Retro-Charmeoffensive, einem Chandler-Quiz für Connaisseure.

Banville wäre alles andere als der meisterhafte Autor, der er ist, hätte er seinen Roman nicht von vornherein als raffiniertes Vexierspiel angelegt, das den Leser selbst zum Spürhund macht. Etwa wenn es gilt, die Handlung anhand verstreuter Hinweise auf das Jahr 1952 zu datieren. Kaum zufällig vergleicht Marlowe seinen aktuellen Fall einmal mit einem Palimpsest, einem alten Schriftstück, das mit einem neuen Text überschrieben wird. Denn auch der Roman selbst zeigt, dass der Mythos Marlowe wie jede Romanfigur nur ein Papiergott ist und Bücher stets aus anderen Büchern gemacht werden. Was keineswegs heißt, dass Banvilles Camouflage blutleere Papageienkunst wäre.

Alles ist ja da und mit lebendigen Farben gesättigt: die ganze klassische Motivwelt des Noir-Genres. Der Koffer in einem Schließfach. Oder der tot geglaubte Gangster mit der Gesichts-OP. Da gibt es den überraschenden nächtlichen Anruf und das große Finale, das alle Verdächtigen zusammenführt. Und dann die Schauplätze: die Protzvillen der Neureichen, wahre Gruselschlösser mit Privatstrand. Die schicken und die schäbigen Bars von L. A., die mondänen Clubs hinter elektrischen Zäunen, wo Politik und Verbrechen ihre Komplotte schmieden. Auch einen Abstecher ans Film-Set macht Banville, mit einem Gary-Cooper-Lookalike im Studio - kurz blitzt es auf, das falsche Lächeln von Hollywood, das so dünn ist wie das Gold auf einem Wochenendtrauring, um mal Original-Chandler zu zitieren.

John Banville alias Benjamin Black: Die Blonde mit den schwarzen Augen. Ein Philip-Marlowe-Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015. 14,99 Euro. (Foto: verlag)

Am wichtigsten aber sind die Figuren: halbseidene Verführer und degenerierte Schnösel, die an der Nadel hängen, mexikanische Schlitzer und harte Mobster, gefallene Mädchen und sadistische Butler. Und die mysteriöse Lady, stinkreich, bestürzend schön und todunglücklich, der coole, unnahbare Vamp, der Marlowe dahinschmelzen lässt wie das crushed ice in seinem Gimlet. Natürlich ist er noch immer der Loner mit der Kippe im Mund und einer literarischen Bildung, die nicht zum Berufsbild passt. Noch immer spielt er berühmte Schachpartien nach und kämpft draußen auf der Straße einen Kampf, den er nicht gewinnen kann.

Aber Banville schleust auch einiges von sich selbst ein, wenn er seiner Clare Cavendish eine irische Herkunft andichtet sowie ein Familientrauma, das mit ausgewandert ist in die Neue Welt. Und wer dächte nicht an Waterboarding, wenn Marlowe fast im Pool ertränkt wird. Die typischen Aphorismen melancholisch zermürbter Männlichkeit schießt der Roman locker aus der Hüfte ab, Sätze wie: "Typisch Marlowe, der Indianer, der eine Perle wegwirft, die mehr wert ist als sein ganzer Stamm." Am Ende haben die Gefühle größere Wunden geschlagen als die Auftragskiller. Eine gemeinsame Nacht hatte Marlowe mit Clare verbracht, aber die Rosen dieser Nacht, sie waren nur auf den Schirm einer scheußlichen Nachttischlampe gemalt. In der letzten Szene wirft er die Lampe in den Müll. Gleich daneben liegt sein durchlöchertes Herz.

© SZ vom 14.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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