Klassik:Zugabe!

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Der Pianist Lang Lang ist einer der erfolgreichsten in seinem Fach. Auch weil er sich ganz konsequent um ein klassikfremdes Publikum bemüht, das er durch seine Tastenshow begeistert. Jetzt auch in München.

Von MICHAEL STALLKNECHT

Der populärste Pianist der Welt spricht gern ein breites Publikum an, wenige Tage vor seinem Auftritt in der Münchner Philharmonie hat er noch einen in einem Münchner Elektromarkt absolviert. Dafür trifft Lang Lang nun in der ausverkauften Philharmonie auch auf ein Publikum, das zumindest nach den schnellen Sätzen zuverlässig klatscht. Als Lang Lang im vierten der Chopinschen Scherzi ankommt, ist bei einer freundlichen Dame anscheinend der Akku des Smartphones leer. Jedenfalls kramt sie, die einen vor dem Konzert um ein Foto gebeten und gerade noch ihre Mails gecheckt hat, nun ausdauernd und hektisch nach dem Kabel.

Geklatscht wird auch in Peter Tschaikowskys Zyklus "Die Jahreszeiten". Man kann den Hörern da nur recht geben, schließlich handelt es sich bei den zwölf Genrebildern - für jeden Monat eines - um ideale Zugabenstücke. Der russische Pianist Denis Matsuev hat gerade vier davon auf einer Platte eingespielt, auf der sich - das ist gerade ein bisschen angesagt - überhaupt nur Zugaben finden. Schon Sergej Rachmaninow ließ nach seinen Konzerten gern die Glöckchen des Schlittens läuten, der im "November" durch den russischen Winterschnee fährt.

Auch Lang Lang spielt sie nun in München durchaus ansprechend, dabei nicht mal sonderlich sentimental. Mit seinem im Pianobereich sehr runden Anschlag singt er die Melodien geschmackvoll aus. Tschaikowsky schrieb den Zyklus für den Verleger einer Monatszeitschrift, das Honorar soll glänzend gewesen sein. Aber will man wirklich alle zwölf hintereinander hören? Dass in den oberen Reihen der Philharmonie jemand im "Juni" kollabiert und anscheinend ärztliche Hilfe benötigt, löst im Saal einige Unruhe aus. Doch bei so etwas ist Lang Lang Profi. Nur kurz linst er aus der eingenommenen Versenkungspose und setzt den Klavierabend mit dem "Italienischen Konzert" von Johann Sebastian Bach fort.

Die Finger rasen hinauf und hinunter, Lang Lang lässt's richtig krachen

Nun gibt es darin ebenfalls einen langsamen Mittelsatz, den Lang Lang sehr schön aussingt. Dafür klingen die Ecksätze leider, als versuche er sich an einer Glenn-Gould-Parodie. Lang Lang häckselt die Töne einzeln in den Flügel und meißelt mit den Bässen einen harten Rhythmus dazu. Wer in rasantestem Tempo mit so viel Kraft spielt, dem bleiben nicht viele Möglichkeiten zur Differenzierung. Er kann eigentlich nur noch lauter werden - Lang Lang spielt denn auch lauter. Das Publikum scheint beeindruckt zu sein, wie der Beifall schon nach dem ersten Satz belegt.

Dass die Dosis sich auch noch steigern lässt, belegen nach der Pause dann die vier Scherzi aus der Feder Frédéric Chopins. Lang Lang spielt sie lauter und vor allem schneller als wahrscheinlich jemals ein Pianist vor ihm. Die Finger rasen hinauf, sie rasen hinunter, die Bässe krachen. Die Akzente fliegen wie Handgranaten in den Saal, die Hände wie im Rausch vom Klavier. Sehr rund klingt das jetzt nicht mehr, aber dafür singt Lang Lang die wenigen langsamen Passagen zwischendrin umso süßer aus. Was Chopin aber mit den Stücken erzählen wollte und warum er gleich vier davon schrieb, versteht man dabei nicht so richtig. Aber für Standing Ovations reicht es. Und wie Lang Lang nach allen Seiten mit den Grußgesten einer britischen Königin dankt, muss man unbedingt erlebt haben.

War's das etwa schon? Nein, es folgen natürlich noch zwei Zugaben: Franz Liszts unvermeidlicher dritter "Liebestraum" und "Y la negra bailaba!" des kubanischen Komponisten Ernesto Lecuona. Eine sozusagen fürs Herz und eine für die Beine. Da darf nun mitgewippt werden. Lang Lang aber, so viel steht fest, sollte baldmöglichst auch eine Zugabenplatte aufnehmen.

© SZ vom 28.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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