Klassik:Viel Liebe

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Kent Nagano dirigiert im Münchner Herkulessaal Liebeswerke von Messiaen und Berlioz. Er lenkt das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks auf romantische Bahnen - ganz traditionell.

Von Michael Stallknecht

Männer können bekanntlich besessen sein von Frauen, und nirgendwo hat man dieser Besessenheit schönere Denkmäler gesetzt als in Frankreich. Gleich zwei solcher Denkmäler aus verschiedenen Jahrhunderten hat der Dirigent Kent Nagano, von jeher ein Liebhaber der französischen Musik im Allgemeinen und der von Olivier Messiaen im Besonderen, nun mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in den Münchner Herkulessaal gebracht: Messiaens "Poèmes pour Mi", eine Huldigung des Komponisten an seine erste Frau aus den Jahren 1936/37, sowie die "Symphonie fantastique", in der Hector Berlioz seinen Obsessionen für die Schauspielerin Harriet Smithson Ausdruck gab. Sie wurde nach der Uraufführung der revidierten Fassung im Jahr 1832 seine Frau.

Während Berlioz seine Symphonie in einem Hexensabbat mit dem klanglichen Verdammungsurteil des katholischen "Dies irae" enden lässt, verschwimmt im Liederzyklus des bekennenden Katholiken Messiaen die Liebe zu Mi, wie der Kosename seiner Frau lautete, mit der zu Gott. Im Schwebezustand zwischen dem Irdischen und dem Himmlischen entfalten die selbstgeschriebenen Texte eine bemerkenswerte lyrische Kraft, lassen die changierenden Rhythmen der Partitur die Sinnlichkeit geradezu überfließen. Die Sopranistin Jenny Daviet kostet die zärtlichen Worte mit genauer Deklamation aus, liebkost Melismen und die oft weitgesponnenen Linien in intensivem Fluss, verfügt über Leuchtkraft gerade in der Höhe.

Der von Messiaen geforderte "große dramatische Sopran" ist sie nicht, sodass ihr ein üppig schillernder Raum gerade in der Tiefe und der Mittellage abgeht. Kent Nagano tut freilich auch zu wenig, um ihre Stimme wirklich mit dem Orchester zu verschmelzen. Oft genug wirken die BR-Symphoniker in dem selten gespielten Zyklus noch mit ihrer eigenen Koordination beschäftigt, was sich auch bei Berlioz' Repertoireklassiker im zweiten Teil erst nach der langsamen Einleitung ändert. Nagano befeuert die "Symphonie fantastique" auf traditionellen romantischen Bahnen bis zum in der Akustik des Herkulessaals ohrenbetäubenden Schluss. Für eine wirklich intensive Deutung müsste er sich stärker auf die Theatralität des Bilderbogens einlassen und obsessiver auf die bemerkenswerten instrumentatorischen und rhythmischen Details stürzen.

© SZ vom 16.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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