Klassik:Schlagoberst

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Kuhglocken, Pauken und die reine Lust am Spiel: Der großartige Perkussionist Martin Grubinger tritt mit Zubin Mehta und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks auf. Aus einem Konzert wird bei ihm musikalisches Theater.

Von Egbert Tholl

Wer lernen will, wie sich klassische Musik vermitteln lässt, muss sich an Martin Grubinger halten. Im Bayerischen Fernsehen moderiert er eine Klassiksendung, im Konzert wirkt er nicht weniger verführerisch, was das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks ausnützt und das Konzert fürs Internet mitfilmt: Im Herkulessaal in München tritt Grubinger zusammen mit dem Orchester auf, Zubin Mehta dirigiert, doch vor allem der jungenhafte Charme des 33-jährigen Österreichers umfängt alle.

Grubinger trommelt. Er zählt zu den besten Perkussionisten der klassischen Musikwelt und ginge problemlos als circensische Sensation durch, wäre er nicht auch ein ungemein ernsthafter Musiker. Grubinger besitzt die Gabe, sein perfektes Virtuosentum im Dienst echten Musizierens vergessen zumachen. Angesichts der überschaubaren Literatur für Schlagzeug und Orchester ist das nicht immer leicht. Auch das Schlagzeugkonzert "Speaking Drums", das Peter Eötvös vor ein paar Jahren für ihn schrieb - das aber nicht Grubinger uraufführte, sondern Daniel Ciampolini -, ist im Kern kaum mehr als Spektakel. Doch wenn Grubinger den Solopart übernimmt, wird daraus musikalisches Theater.

Schon die Anordnung der perkussiven Gerätschaften ist eine Inszenierung. Zehn Meter Breite nehmen diese auf dem Podium im Herkulessaal in Anspruch: Röhrenglocken, Kuhglocken, japanische Klangsteine, Marimba, Pauke, japanische Holztrommeln, Becken, Hi-Hat, Tamtams, Tomtoms. Dahinter wirkt das Orchester fast im Verborgenen und wird während der 20-minütigen Trommel-tour-de-force kaum mehr als die Rolle des staunenden Betrachters einnehmen, auch wenn Zubin Mehta es dirigiert und auch wenn einmal ein Trompeter, Martin Angerer, zum Dialog mit dem Trommelmann nach vorne kommt.

Eötvös' Konzert feiert den Selbstzweck, will nicht mehr sein als reine Lust am Spiel. Zugrunde liegen ein paar lautmalerische Nonsense-Gedichte, aus denen Grubinger Passagen brüllt, schreit, gurrt, gurgelt, was aber keinerlei semantischen Hintergrund hat, sondern lediglich das perkussive Tableau um das der gesprochenen Sprache erweitert. Dazu tigert er zwischen den Gerätschaften herum, trommelt mit fantastischer Akribie, wird zum Erzähler in einer Welt teils verblüffender Klangmöglichkeiten.

Schönberg trifft auf Bruckner - hier wird Wirkmächtigkeit hörbar

Das Ganze macht verblüffend gute Laune, und es ist eine abenteuerliche Leistung des BR-Symphonieorchesters und Zubin Mehtas, diese Spaßnummer mit Stücken zu kombinieren, die völlig konträr dazu wirken. Aber es geht auf. Zur Ouvertüre gleichsam dirigiert Mehta Schönbergs Kammersymphonie von 1906 mit umwerfendem spätromantischem Überschwang, als simulierten die 15 Musiker einen Riesenorchesterapparat. Vom beginnenden Verschwinden nachvollziehbarer harmonischer Zusammenhänge ist hier nichts zu spüren, von Wirkmächtigkeit aber sehr viel.

Mehta bleibt dieser Linie auch im zweiten Teil treu, umgibt in Schönbergs Kantate "Kol Nidre" den Sprecher Michael Schade mit mystischer Orchesterschönheit und lässt den Chor das Gebet zu Jom Kippur so stählern strahlen, als sei es nichts weiter als ein funkelnder Aufruf zu einem selig machenden Zionismus, aus tiefster Not geboren. Danach noch die bäuerisch unverbrüchliche Glaubenswelt von Bruckners "Te Deum": überwältigend in Sturheit, Chorwucht und der zarten Süße der Gesangssolisten.

© SZ vom 12.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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