Klassikkolumne:Seltene Opern

Lesezeit: 2 min

Etwa 6000 Opern haben Musikwissenschaftler gezählt, ein Riesenreservoir menschlicher Geschichten und Menschheitsgeschichten. Es gibt eine Fülle von Initiativen zur Präsentation gerade unbekannterer Titel, etwa "Moses" von Anton Rubinstein.

Von Michael Stallknecht

Mindestens 60 000 Opern sollen im Lauf der Musikgeschichte entstanden sein: ein unerschöpfliches Reservoir von menschlichen Geschichten und Menschheitsgeschichten. Viele davon, sofern überhaupt in den Archiven zugänglich, könnten sich im Theater der Gegenwart nicht mehr behaupten, viele andere schon. Neuaufnahmen der Repertoireklassiker entstehen inzwischen kaum noch, aus Kostengründen und weil sie oft schon in vielen guten Sängerbesetzungen vorliegen.

(Foto: Moses)

Dafür gibt es immer wieder eine Fülle von Initiativen zur Präsentation gerade unbekannterer Titel. Bei Warner Classics zum Beispiel hat sich gerade der Dirigent Michail Jurowski einen Lebenstraum erfüllen dürfen: den "Moses" von Anton Rubinstein auf Platte zu bannen. Von 1884 bis 1891 arbeitete der zu seiner Zeit als Pianist wie als Komponist erfolgreiche Rubinstein an dem Opus magnum, das das Leben des Moses gemäß den bekannten biblischen Stationen umreißt. Hier mit einer vorwiegend polnischen, dabei im Deutschen bestens textverständlichen Besetzung realisiert, wurde die "geistliche Oper" wohl zuvor auch wegen des großen personellen Aufwands nie vollständig uraufgeführt. Dabei ist Rubinsteins große Stärke gerade die Fähigkeit zu inniger Schlichtheit, die Klarheit im Einsatz der Mittel mitten in der ausufernden Spätromantik. Bewusst gegen ihre Tendenzen wandelt er in seinem "Moses" weiterhin auf den Spuren der Oratorien Mendelssohns, mit dem er auch die christlich-jüdische Doppelidentität teilte. Das vierstündige Werk reißt den Hörer denn auch in einem gewaltigen Bogen mit in eine echte spirituelle Tiefenerfahrung.

(Foto: N/A)

Schon seit 1970 widmet sich das Label Opera Rara vor allem dem Belcanto, der gerade auch die selten gespielten "ernsten" Opern, die Opere serie von Gioachino Rossini prägt. In seiner 1823 uraufgeführten Oper "Semiramide" erzählt Rossini von Thronstreitigkeiten der mythischen altorientalischen Königin Semiramis, um die herum sich ein Sumpf von Ehrgeiz, Mord und Rache ausbreitet. Der Dirigent Mark Elder, künstlerischer Leiter von Opera Rara, nimmt den Stoff hörbar ernst, indem er mit dem Orchestra of the Age of Enlightenment gerade auch die dunkleren Farben betont und mit dem hervorragenden Sängerensemble auf psychologische Feinarbeit gerade in den Rezitativen zielt. Albina Shagimuratova zeichnet denn auch in der Titelpartie mit technisch makellos geführtem Sopran auf sehr differenzierte Weise eine Herrscherin, deren Fassade auch emotional zunehmend bröckelt.

Um unbekannte französische Opern der Romantik macht sich der in Venedig ansässige Palazzetto Bru Zane verdient. Dabei arbeitet er häufig auch mit dem Münchner Rundfunkorchester und dem Chor des Bayerischen Rundfunks im Rahmen von dessen "Sonntagskonzerten" zusammen, die ebenfalls ungewöhnlichen Opern vorbehalten sind. So auch bei Charles Gounods "Le Tribut de Zamora", das der Palazzetto nun zum 200. Geburtstag des Komponisten in einer Buch-CD-Kombination vorlegt. Gounods letzte Oper aus dem Jahr 1881 erzählt, wie im muslimisch besetzten Spanien des 9. Jahrhunderts ein allmächtiger arabischer Gesandter und ein einfacher spanischer Soldat um ein- und dieselbe Frau kämpfen. Liebe und Freiheitswillen, Heldenmut und Todessehnsucht, Wahnsinn und Mord: Gounod hat in den dennoch sehr schlüssig erzählten Plot alles hineingepackt, was die Oper an großen Gefühlen so kann. Für die glutvolle Melodik steht eine exzellente Sängerbesetzung bereit, die Dirigent Hervé Niquet punktgenau anfeuert.

(Foto: N/A)

Der 1947 geborene Komponist John Adams hat einen ganz eigenen Stil entwickelt, um auch Stoffe der jüngeren Zeitgeschichte überzeugend in der Oper abbilden zu können. "Doctor Atomic", uraufgeführt 2005 in San Francisco, erzählt von den Vorbereitungen des ersten amerikanischen Atombombentests im Jahre 1945 rund um den Physiker Robert Oppenheimer. Dazu greift das Libretto des Regisseurs Peter Sellars auf Regierungsdokumente zurück, denen Gedichte als sensibler Kontrast gegenübergestellt werden. Das Label Nonesuch legt die Oper hier unter Leitung des Komponisten erstmals auf CD vor. (DVD-Mitschnitte von Aufführungen gab es bereits.)Alles steuert in einem dramatischen Countdown auf den Moment der Explosion zu, während sich in zunehmenden Regengüssen die Natur selbst gegen den unwiderruflich stattfindenden Eingriff in ihre Ordnung zu wehren scheint.

© SZ vom 18.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: