Klassik in Hamburg:Unsere Musik

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Die Hansestadt hat eine reiche musikalische Tradition. Schon 1678 leistete man sich hier Europas erste Bürgeroper. Mit dem neuen Haus will man ganz vorne mitspielen.

Von Wolfgang Schreiber

Wie wird man eine Musikmetropole, und womit haben Musikstädte wie Wien, London, Berlin, München den klangvollen Namen verdient? Gebührt er Hamburg, Geburtsort von Felix Mendelssohn Bartholdy und Johannes Brahms, der Stadt, in der Georg Philipp Telemann und Carl Philipp Emanuel Bach, wo Hans von Bülow, Gustav Mahler, später György Ligeti lange Jahre gewirkt haben? Es gibt Voraussetzungen für den Titel: das prägende musikalische Erbe, eine vitale Musikgegenwart, die Anwesenheit charismatischer Künstler, wichtiger Institutionen, Orchester und Ensembles, die faszinierende Architektur kultureller Räume, ein Publikum und eine Atmosphäre der Begeisterung für die Musik.

Nein, die Hanse- und Kaufmannstadt Hamburg muss sich musikalisch nicht verstecken. Auch nicht bei nüchternen Zahlen für die Gegenwart: Hamburgs Handelskammer nennt die einheimische Musik einen beachtlichen Wirtschaftsfaktor, mit einer jährlichen Wertschöpfung von einer Milliarde Euro und einem Volumen von insgesamt 17 000 Arbeitsplätzen. Ein Dreiklang, heißt es, bestimme momentan Hamburgs Musik: die regsame Konzertszene mit der neuen Speerspitze Elbphilharmonie, die Szenerie der Musicals sowie die Live-Kultur der Clubs, des Jazz, der Reeperbahn. Und natürlich das Musiktheater.

Einen prächtigen Rahmen für Konzerte bietet die Laeiszhalle nach wie vor. Hier ein Bild mit der vor kurzem gestorbenen Kultursenatorin Barbara Kisseler. (Foto: Georg Wendt/dpa)

Hamburgs Opernfreunde wurden zu radikal modernem Musiktheater geführt

Hamburgs Musiktradition besitzt eine glänzende Geschichte, Schauplatz Oper: Man leistete sich hier schon 1678, zur Blütezeit der Hofoper ringsum, Europas erste Bürgeroper - am Gänsemarkt. Nur wenige Schritte von dort floriert heute die Hamburgische Staatsoper, wo nach dem Zweiten Weltkrieg Rolf Liebermann als Intendant seine weltweit gerühmte Ära zeitgenössischen Musiktheaters auf die Beine stellte. Peter Ruzicka setzte es mit Glanzpunkten gegenwärtiger Opernkunst fort, Höhepunkte: Wolfgang Rihms Oper "Die Eroberung von Mexiko" und Helmut Lachenmanns "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern". Ingo Metzmacher und Peter Konwitschny, Dirigent und Regisseur, führten Hamburgs Opernfreunde zum radikal modernen Musik- und Regietheater. Nachfolgerin Simone Young mühte sich um neue Herausforderungen. Und so stehen nun an einer Doppelspitze des Hauses Dirigent Kent Nagano und Intendant Georges Delnon: Schon ihre zweite Spielzeit lässt vortreffliche Programmfantasie und Kunstqualität erkennen. Eine Sonderstellung an der Staatsoper hält die Hamburger Ballettkompanie, die Choreograf und Ballettintendant John Neumeier in Jahrzehnten zu immer neuen Triumphen führte.

Musikstadt Hamburg - dazu gehört die Musikkultur an den fünf Hauptkirchen der Stadt, allen voran St. Michaelis, "der Michel" mit seinen fünf Orgeln und musikalischen Darbietungen von hoher Dichte und Qualität. Dazu zählt die weit "ausstrahlende" Instanz Norddeutscher Rundfunk mit vielen Klangkörpern, Konzertreihen des Alten und Neuen samt ihren erstrangigen Künstlern. Ein "Tor zur Welt" für junge Generationen: die Hamburger Hochschule für Musik und Theater mit oberstem Ausbildungsniveau, 1200 Studierenden und 400 Veranstaltungen pro Jahr. Übrigens: Im Hamburger Club Indra begann 1960 die Weltkarriere einer jungen Band namens The Beatles.

Und jetzt, endlich - bei allem Respekt vor der 1908 erbauten, akustisch exzellenten Laeiszhalle, bisher Hamburgs Klassikmusikzentrum: Das spektakuläre, bereits "Traumschloss" titulierte Kultur- und Musikforum Elbphilharmonie ist bezugs- und konzertbereit. Die Hansestadt werde jetzt "Weltmetropole", so das Magazin Stern. Musikmetropole wäre schon viel.

"Die Elbphilharmonie wird ein Haus der Hamburger, seiner unzähligen und viel-seitig interessierten Musikliebhaber und -freunde werden." Die Führungsspitze der Hamburger Staatsoper, und damit das Philharmonische Staatsorchester, lädt das Publikum so ein, die Elbphilharmonie in Besitz zu nehmen. Auch wenn Hamburg keinen Klangkörper vom Weltruf der Berliner oder Wiener Philharmoniker beherbergt, das Philharmonische Staatsorchester unter Kent Nagano und das NDR-Symphonieorchester unter seinem Chef Thomas Hengelbrock, das sich nun NDR Elbphilharmonie Orchester nennt, bestreiten die ersten Programme des dreiwöchigen Eröffnungsfestivals. Hengelbrock wird zur Saaleinweihung am 11. Januar mit seinem Orchester, mehreren Chören und hochkarätigen Solisten zu einer "musikalischen Reise" einladen, mit einem Programm von der Renaissance bis zur Gegenwart, darunter ein neues Stück von Wolfgang Rihm. Kent Nagano dirigiert zwei Tage später die Uraufführung eines abendfüllenden Oratoriums von Jörg Widmann, Titel: "Arche". Es folgen Gastspiele der Wiener Philharmoniker und des Chicago Symphony Orchestras, Recitals prominenter Ensembles und Solisten, und sogar, so viel Power muss rein in die Elbphilharmonie, zwei Konzerte der "Einstürzenden Neubauten".

Thomas Hengelbrock ist sich der gesellschaftlichen Bedeutung des neuen Hauses für die Metropole Hamburg bewusst. Er findet es großartig, meinte er in einem Interview, "dass wir jetzt mit der Elbphilharmonie ein kulturelles Gegengewicht zur Wirtschaftsstärke hier in Hamburg haben. Und das braucht es auch." Je mehr Geld eine Rolle in einer Gesellschaft spiele, in einer Stadt, desto wichtiger sei es auch, dass es ein starkes Gegengewicht gebe.

Projekt Musikstadt Hamburg? Im Juni debattierte man bei einem Podium darüber, welche Rolle die Elbphilharmonie für Hamburg spielt. "Eine Musikstadt ist nicht das", so Ballettintendant John Neumeier, "was man erkauft, sondern das, was man exportiert." Das sind nicht nur die Leuchttürme der Hochkultur. Ein neuer Musikstadtfonds wurde von der Kulturbehörde ausgeschrieben - zur Förderung der freien Musikszene. Längst weiß auch der Staatsrat der Kulturbehörde, Carsten Brosda: "Die Musikstadt Hamburg braucht neben herausragenden musikalischen Leuchttürmen auch das kreative Fundament einer lebendigen und vielfältigen Musikszene."

© SZ vom 08.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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