Kino: Pornomärchen "Princess":Paradise Lust

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"Mögest du deine Beine spreizen für die Engel": Anders Morgenthaler hat mit "Princess" ein verstörendes, grausames Pornomärchen gedreht.

Fritz Göttler

Ein Film, der die Momente vor dem Big Sleep beschwört, kurz vor dem Einschlummern, jene Gestade, wo die Woge des Schlafes das Festland des Wachseins zu überspülen beginnt. Ein schönes Gefühl von Geborgenheit gibt es hier manchmal, in das sich aber immer wieder Bedrohung mischt - in Erwartung der Träume, die uns verschlingen werden mit ihrer Urgewalt.

Christina ist tot, die alle kannten als Princess - der junge Pornostar, die Königin der Produktionsfirma Paradise Lust. "Mögest du deine Beine spreizen für die Engel, wie du's getan hast für uns hier auf Erden . . .", steht auf ihrem Grabstein - eine protzige Grab- und Erinnerungsstätte ist das, die ihr Charlie bereitet hat, King Charlie, der Mann ihres Lebens, ihr Freund und Zuhälter. Ganz fassungslos steht August vor dem Grab, Christinas Bruder, der nun zurückgekommen ist in die große Stadt, nachdem er Jahre lang im Ausland Missionarsdienst leistete. Er hat Christina nicht retten können, also will er wenigstens für Mia, Christinas kleine Tochter, sorgen. Mia hat blaue Flecken am Körper, und sie hütet ein schreckliches Geheimnis - mit fünf ist sie schon gezeichnet vom Geschäft, das längst auch Kinder in seine perversen Praktiken eingeplant hat.

Anders Morgenthaler kann uns diese Perversion nicht ersparen in seinem Erstling, und nicht, was sie an Perversionen nach sich zieht. "Princess" ist ein trauriger, am Ende blutiger und unerbittlicher Trip in die Welt der Prostitution. Dass Märchen sowieso die Härte sind, weiß man aus der eigenen Kindheit, damit muss man leben. Anders Morgenthaler hat einen Zeichenfilm für Erwachsene gemacht, und natürlich ist das eine Perversität für sich, wenn er die schäbige, schmierige Pornowirklichkeit konfrontiert mit melancholischen, treuherzigen Disney-Blicken. Er treibt dem Genre die Unschuld aus, durch eine rigorose Männerphantasie. Der Bruder August will Wiedergutmachung, schon um die eigenen Schuldgefühle zu bekämpfen. Innerhalb einer Woche soll die Firma alles Videomaterial mit Christina vernichten. Rache und Reinheit, ein Ein-Mann-(und-ein-Kind-)Feldzug, alles von Gott gewollt und inspiriert. Und: No regrets, auch wenn die halbe Stadt in Flammen aufgeht, zu den energischen Klängen des berühmten Piaf-Songs. Die Rache hat sich der Rächer bemächtigt.

Anders Morgenthaler ist an den Ursprung des Kinos zurückgegangen, wo es vor allem darum geht, Räume aufzutun und zu erkunden. Menschen, die sich in modernen Stadtlandschaften verlieren, in Straßenschluchten oder in den leeren künstlichen Kommunikationsforen. Lange Korridore, in denen Türen sich auftun in unbewohnbare Räume. Umzugskartons an der Wand, eine kantige Couch, davor ein Videospieler, in den August die alten Kassetten einschiebt, auf denen die gemeinsame Jugend dokumentiert ist. Eine Kommune-Zeit, da Gemeinschaft möglich war und Anarchie. Die Kinderspiele heute sind dagegen streng reglementiert - als Mia mitspielen will, wird sie belehrt, dass alle Rollen schon vergeben sind, Mann und Frau, ein Haustier und ein Kind pro Appartement. Ich kann die Nutte sein, erklärt Mia kooperativ.

Lars von Triers Produktionsfirma Zentropa hat den Film produziert, mit deutscher Beteiligung, in Cannes lief er 2006 in der Quinzaine des Réalisateurs. Dem Meister zollt der Film Tribut, wenn er die Videos der Kids als Realfilm zeigt, im Dogmastil: Christina und Charlie und, hinter der Kamera, August. Bestürzend schnell wird aus dem tollen Treiben das Spiel der Prostitution hervorgehen - als die minderjährige Christina den miesen Hausmeister anmacht und in eine kompromittierende Situation bringt, damit der sie nicht aus der Wohnung schmeißt. Das Schuldgefüge, das Schuldgefälle ist ganz eindeutig. Der Mann hinter der Kamera ist um keinen Deut weniger schuldig als die davor.

PRINCESS, Dänemark 2006 - Regie: Anders Morgenthaler. Buch: Mette Heeno, Anders Morgenthaler. Musik: Mads Brauer, Casper Clausen. Kamera: Kasper Tuxen Andersen. Schnitt: Mikkel E. G. Nielsen. Animation: Mads Juul, Kristjan Møller. Mit: Thure Lindhardt, Stine Fischer Christensen. Universum, 80 Minuten.

© SZ vom 27.3.2008/korc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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