Kino:Das Geheimnis des jungen Herzens

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Den Blick scharf halten: Zum Tod des großen amerikanischen Filmregisseurs Robert Altman. Der 81-Jährige hatte im März einen Ehren-Oscar für sein Lebenswerk erhalten. Zuvor war er fünf Mal nominiert worden - ohne die begehrte Auszeichnung zu bekommen.

Tobias Kniebe

Zuletzt sah es so aus, als könne er beinahe ewig leben und auch ewig noch Filme drehen, die ganz auf der Höhe der Zeit waren. Im März dieses Jahres, als er in Hollywood den Ehrenoscar für sein Lebenswerk entgegennahm, der ihm bis dahin immer verwehrt geblieben war, enthüllte er sehr gerührt ein bisher unbekanntes Detail aus seiner Biographie: Dass er zehn oder elf Jahre zuvor ein neues, junges Herz erhalten habe, ohne irgendjemandem etwas zu verraten - und dass er die Kraft in sich fühle, noch weitere vierzig Jahre spannende Filme zu machen.

Robert Altman (Foto: Foto: AP)

Sofort dachte man an seine letzten Arbeiten zurück und musste feststellen, dass das nicht einmal unglaubwürdig klang: Die lässige Souveränität, mit der er die uramerikanische Comedy-Revue "A Prairie Home Companion" inszenierte, wurde erst auf der letzten Berlinale gefeiert und war eines Altmeisters absolut würdig; davor beeindruckte die Leichtigkeit, mit der er in "Gosford Park" in die englische Klassengesellschaft des 19. Jahrhunderts eintauchte und dabei alle Beteiligten, vom niedrigsten Dienstboten bis zur elegantesten Lady, elegant in einer weitverzweigten Geschichte unterbrachte - und immerhin den zweiterfolgreichsten Film seiner Karriere landete.

Die Botschaft an diesem Abend war klar: Hollywood hatte nie wirklich auf einen wie Robert Altman gewartet - aber nach seinem ersten Durchbruch Anfang der siebziger Jahre dachte er auch nie wirklich daran, jemals wieder zu verschwinden.

Letzte Blütezeit des amerikanischen Kinos

Und doch: Im Kern wird sein Werk immer mit einer Zeit verbunden sein, die allgemein als die letzte Blütezeit des amerikanischen Kinos gilt - und die er mit seinem Wagemut und seiner Experimentierfreude wesentlich mitgeprägt hat. Als ihm mit der Militärsatire M.A.S.H (1970) der große Durchbruch gelang, war er schon 45 Jahre alt und hatte bereits ein paar vergebliche Anläufe hinter sich, in Hollywood oder auch in New York als Autor oder Regisseur einen Fuß in die Tür zu bekommen.

Immer wieder aber wurde er ins heimatliche Kansas City zurückgeworfen, und erst über den Umweg des Industriefilms und des Fernsehens gelangte er schließlich zum Kino. Wie konnte man sich in einer Zeit, in der blutjunge Talente an die Macht drängten und in Hollywood kein Stein auf dem anderen blieb, auch im fortgeschrittenen Alter noch behaupten?

Robert Altman fand schnell einen Weg für sich: Immer noch ein bisschen respektloser und radikaler an die Sachen herangehen, den Blick distanziert und scharf halten - und gleichzeitig für die ganzen herumirrenden Talente so etwas wie die Mutter der Kompagnie werden: Legendär waren schon bald die großen, höchst familiären Ensembles aus Schauspielern und Technikern, die er um sich versammelte - und wenn man der Legende glauben darf, dann konnte niemand an einem Altman-Set unterscheiden, wann das Filmemachen eigentlich aufhörte und wann die Party begann.

Mehr Freiheiten für Schauspieler

In jene Zeit fallen auch seine berühmten Innovationen, die das Gesicht des modernen Kinos für immer verändern sollten. Er ließ den Schauspielern wahrscheinlich mehr Freiheiten als jeder andere Regisseur vor ihm, er löste die starren Strukturen auf, in denen bis zu jener Zeit Filme gedreht wurden, er warf multiple Storylines und multiple Kameras ins Gefecht und wartete dann einfach, was der Zufall ihm so bringen würde - ein wenig so, als wolle er dem Leben selbst bei der Arbeit zuschauen.

Natürlich so das alles das schmutziger und verwackelter aus, als es die Zuschauer gewohnt waren, natürlich sprachen dann oft alle gleichzeitig, und längst nicht jeder Dialogsatz war mehr zu verstehen - unter der Hand aber schlich sich an Gefühl an, das die Leinwand vielleicht näher als je zuvor an die Wahrheit des menschlichen Lebens herangerückt war. Diese Methode bewährte sich in den unterschiedlichsten Genres und Konstellationen.

So entstanden in wenigen Jahren eine Reihe von Meisterwerken wie "McCabe & Mrs. Miller" (1971), "The Long Goodbye" (1973), "California Split" (1974) und schließlich ein Mosaik aus Politik und Kunst der siebziger Jahre am Beispiel der Countrymusik, das bereits als krönender Abschluss der Altman-Methode gelten kann: "Nashville" (1975).

Der Furor und Schaffensdrang dieser Zeit ließ sich allerdings nicht ewig aufrechterhalten, und danach geriet Altman in höchst wechselhaftes Fahrwasser. Hollywood wollte schon bald gar nichts mehr von ihm wissen, und die Filme, die er trotzdem noch zustandebrachte, kann man auch keineswegs durchgängig als geglückt bezeichnen. Längst einig sind sich die Historiker allerdings, dass er sich diesem Auf und Ab mit großer persönlicher Integrität und Beharrlichkeit gestellt hat, dass die Freundschaften der frühen Jahre fast alle gehalten haben und dass sein Geist so scharf blieb wie eh und je.

Grandioses Los Angeles-Porträt

So war es nur auf den ersten Blick verwunderlich, dass ihm Anfang der Neunziger mit der Hollywood-Satire "The Player" ein furioses Comeback gelang, und dass seine Erfahrung mit den vielfältig verwobenen Fäden einer Episodengeschichte ihm bei dem abermaligen Meisterwerk "Short Cuts", das etliche Raymond-Carver-Kurzgeschichten zu einem definitiven Bild der Metropole Los Angeles verdichtet, sich als nützlich erwiesen.

An der Souveränität und Gelassenheit, die er seitdem ausgestrahlt hat, war nicht mehr zu rütteln - auch wenn er selbst vielleicht schon eine Weile wusste, dass dieses Bild nur noch ein äußerliches war, um seinen Produzenten unnötige Sorgen zu ersparen. Im privatesten Kreis soll er auf der Berlinale gesagt haben, "A Prairie Home Companion" sei sein letzter Film, man werde sich nicht mehr wiedersehen. Jetzt hat sich diese Ahnung bestätigt.

© SZ vom 22.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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