Kino: "Battle in Heaven":Der Mensch bleibt ein trauriges Tier

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Carlos Reygadas setzt mit "Battle in Heaven" auf die traurigen Gefühle - und guten Sex in der Stadt.

Fritz Göttler

Langsam und beharrlich ist die Bewegung dieses Films, manchmal schwerfällig, dann wieder unerhört leichtfüßig, und hypnotisch zieht sie uns mit, allen Widerständen zum Trotz. "Es fällt uns schwer", sagt der Regisseur Carlos Reygadas, "gewisse Dinge in unserem Leben zu konfrontieren. Auch wenn wir das wollen - wir haben einfach nicht die Konzentration, nicht die Energie. So geht es auch der Hauptfigur Marcos in dem Film - er versucht irgendwie den Moment hinauszuschieben, wo er sich selbst gegenübertreten muss. Und obwohl er es hinauszuschieben versucht, kann die Zeit natürlich nicht gestoppt werden und die Dinge arbeiten in seinem Innern ..."

In Cannes, wo er voriges Jahr im Wettbewerb lief, hat der Film Aufsehen erregt wegen seiner Bettszenen. (Foto: Foto: Neue Visionen)

Das ist eine schöne Beschreibung dessen, was in diesem Film passiert, ganz mechanisch, ohne Psychologie und ohne Schuld und Sühne. Marcos hat allen Grund dazu, vor diesem Moment der Konfrontation zurückzuschrecken. Mit seiner Frau - sie verkauft Uhren und Gebäck in einer Passage der U-Bahn von Mexico City - hat er das Kind einer Bekannten gekidnappt, und das ist ihnen nun plötzlich gestorben. Marcos arbeitet als Chauffeur für einen General der mexikanischen Armee und holt dessen Tochter Ana vom Flugplatz ab. Wie ein Wesen aus einer anderen Welt kommt sie daher, Anapola Mushkadiz, eine schnippische kleine Meerjungfrau, mit strubbeligen Dreadlocks und aggressivem Piercing. Wenig später sehen die beiden sich wieder, in einem Bordell. Marcos will nur von Ana bedient werden, die dort nachmittags jobbt, und sie willigt ein.

Der Film zeigt den Menschen als animal triste. In Cannes, wo er voriges Jahr im Wettbewerb lief, hat er Aufsehen erregt wegen seiner Bettszenen - man sieht Marcos beim Blowjob, beim Masturbieren, mit seiner dicken Frau. Der Sex ist sehr direkt und ganz ruhig, in Close-ups gefilmt, eine Mischung aus Gleichgültigkeit und physischer Anstrengung, die nichts von Voyeurismus hat - einmal nimmt sich die Kamera während des Akts sogar die Freiheit zu einem Schwenk über die Stadt draußen. Ich wollte, sagt Carlos Reygadas, nach meinem Debütfilm "Japón" unbedingt die Stadt filmen, Mexico City - "Japón" erzählte von einem Mann, der ein Dorf in einer verlassenen Hochebene aufsucht, um sich, sagt er, dort umzubringen. So ist "Batalla en el cielo", der bei uns unter dem Titel "Battle in Heaven" läuft, einer der aufregendsten Stadtfilme geworden, lehrreicher als viele Traktate zur Urbanistik und zur Zukunft der Städte.

Die Menschen sind unförmig und unbeweglich, aber in ihrer nackten Traurigkeit gewinnen sie eine eigene Schönheit. Hässlich ist dagegen die Gleichgültigkeit, zu der das Leben in der großen Stadt sie verdammt. Durch seine große Brille guckt Marcos, der am Ende schlimmster Dinge fähig ist, anfangs auf die Passanten, aber die Gläser scheinen den Blick abzustumpfen, nicht zu schärfen. Ganz sanft ist seine Stimme - ein Mann, ein Land in Trance. Reygadas misstraut jeglicher Dramaturgie und Charakterbeschreibung - das ist Theater oder schlechtes Kino für ihn. Er setzt auf Beobachtung, auf Perzeption, auf die Präsenz der Menschen, wie sie nur die Kamera zu erfassen vermag, zumal eine so präzise wie des großartigen Diego Martínez Vignatti. Magisch lässt er die Menschen aus den Bildern verschwinden, einen einsamen Mann im Nebel auf einem Berg, einen Pilger in der Menge vor der Kathedrale der Heiligen Jungfrau von Guadelupe. Am Ende bleiben die Texturen, Mauern und Vorhänge und Haut, ihre Ritzen, Falten, Poren. Im Innern arbeiten die Dinge.

BATTLE IN HEAVEN/BATALLA EN EL CIELO, Mexiko/B/F/D 2005 - Regie, Buch: Carlos Reygadas. Kamera: Diego Martínez Vignatti. Musik: John Tavener. Schnitt: Benjamin Mirguet, Adoración G. Elipe, Nicolas Schmerkin. Mit: Marcos Hernández, Anapola Mushkadiz, Bertha Ruiz, David Bornstien, Rosalinda Ramirez. Neue Visionen, 98 Minuten.

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