Kinderlyrik:Wer Ostereier will

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"Sich jung schreiben": Gedichte von Lutz Rathenow - vom Kinderreim über das Kinderlied, bis zum Sprachspiel und Nonsensevers - mit grandiosen Illustrationen in Buntstifttechnik von Egbert Herfurth.

Von Carsten Gansel

Lutz Rathenow, der im September seinen 65. Geburtstag feierte, hat sich selbst mit dem vorliegenden Gedichtband ein wunderschönes Geschenk gemacht, 63 Gedichte, vom Kinderreim über das Kinderlied bis zum Sprachspiel und Nonsensvers. Es ist wohl kein Zufall, dass der Autor auf das zurückkommt, was in der DDR - notgedrungen - seine "Vorlesesozialisation" bestimmt hat: Da er damals nicht publizieren konnte, gewann er Öffentlichkeit durch Lesungen in Kirchen und Wohnungen, in denen zumeist ein junges Publikum zu finden war.

Diese Jahre sind längst vergangen, aber eines hat sich in Texten von Lutz Rathenow erhalten: die Perspektive des Kindes. "Über Kindheit schreiben, das bedeutet, sich jung schreiben", hat er einmal gesagt. Dies ist ein Grund, warum er sich erneut in kindliches Weltempfinden einfühlt, und nicht der Umstand, dass seit seiner Wahl zum Sächsischen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen die Zeit zum Schreiben knapper geworden ist. Lutz Rathenows "Gedichte zum Größerwerden" belegen, wie wichtig es ist, die (kindlichen) Leser ernst zu nehmen. Die Perspektivenübernahme macht sensibel für jene Vorgänge und Denkweisen, die aus der Sicht der Großen keine Bedeutung mehr besitzen und vermeintlich am Rande liegen.

An Daniil Charms, einem Autor der russischen Avantgarde geschult, hat Rathenow schon früh an dessen Kürzestgeschichten angeknüpft und aus einfach erscheinenden Konstellationen und Sätzen komplex-rätselhafte Situationen gebaut. Was auf den ersten Blick simpel daherkommt, weist beim Nach-Sinnen über sich hinaus, entfaltet größere Dimensionen und sprengt Begrenzendes! "Ich freue mich" funktioniert wie ein Gegenstück zu Daniil Charms Geschichte vom "Rothaarigen Mann", dem sukzessive alle Merkmale gestrichen werden: Haare, Mund, Nase, Arme, Beine, Bauch, Rücken. "Besser wir sprechen nicht mehr von ihm", heißt es daher. Umgekehrt bei Rathenow, bei dem das Ich aufzählt, welche Möglichkeiten ihm Augen, Füße, Ohren, Nase, Hände, Finger, Haare bieten. "Und was der Kopf denkt, spreche ich", so der Abschluss.

Interessant auch die naiv-skurril anmutende Frage "Wozu die Gartenzwerge da (sind)?", nämlich um "die Osterhasen zu vertreiben". "Die Moral von dieser Geschicht : Wer Ostereier will, dulde Gartenzwerge nicht." Man merkt den Texten an, dass sie Erfahrungen von heutigen Kindern reflektieren und aus dem Umgang mit ihnen entstanden sind. Einmal mehr hat der Leipziger Maler und Grafiker Egbert Herfurth Rathenows Gedichte grandios illustriert. Die kolorierten Feder- und Buntstiftzeichnungen schaffen es, Rathenows sprachspielerischen Ansatz und den hintergründigen Humor zu übersetzen und gleichzeitig weitere Sinn-Ebenen zu eröffnen. Entstanden ist ein Gedichtbuch, dem man viele sehr leise und sehr laut lesende Leser wünscht.

Lutz Rathenow: Der Elefant auf dem Trampolin. Gedichte zum Größerwerden. Mit Illustrationen von Egbert Herfurth. Leiv-Verlag, Leipzig 2017. 84 Seiten, 12,90 Euro.

© SZ vom 10.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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