Kindergeschichte:Schmeckt gestohlenes Essen wie Sägespäne?

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Susin Nielsen: Adresse unbekannt. Aus dem Englischen von Anja Herre. Illustrationen von Leslie Mechanic. Urachhaus, Stuttgart. 241 Seiten, 17 Euro. (Foto: N/A)

Susin Nielsen erzählt von Obdachlosigkeit, Glück und einem neuen Zuhause, das Felix in einer Quizshow gewinnt.

Von Carola Zinner

Eine Art Urlaub in der eigenen Stadt. Tagsüber schwimmen, wandern, lesen, abends einschlafen mit Blick auf den Sternenhimmel, der durch die aufgeklappte Dachluke schimmert: Der Hammer, findet Felix, 12 Jahre alt und stets bereit, das Leben von seiner erfreulichen Seite zu nehmen. Der August hat in dieser Hinsicht einiges zu bieten, vor allem, wenn man ihn gemeinsam mit der Mutter in einem umgebauten VW-Camper verbringt. Nur dass es sich hier nicht wirklich um einen Urlaub handelt, sondern um eine Notlösung. Mutter und Sohn haben keinen festen Wohnsitz mehr. Kein Job, kein Geld, der größte Teil der persönlichen Habe bei Bekannten untergebracht: Felix' Mutter hatte in letzter Zeit nicht eben ein glückliches Händchen, was die Lebensgestaltung für sich und ihren Sohn angeht. Also versucht Felix jetzt die Sache selbst in den Griff zu bekommen. Wichtigster Punkt: Geld muss her, damit Mutter und Sohn wieder eine Wohnung anmieten und das Gestrüpp aus Lügen, Betrug und kleinen Gaunereien verlassen können, in das sich Astrid immer weiter verstrickt und das für beide immer gefährlicher wird. Was für ein glücklicher Zufall, dass gerade Kandidaten gesucht werden für die neue Junior-Version von Felix Lieblings TV - Quizshow. Wer in der Endrunde siegt, bekommt 25 000 Dollar, die Chancen dafür stehen nicht schlecht, denn im Beantworten von Quizfragen ist Felix unschlagbar.

Der Weg in die Obdachlosigkeit kann kurz sein, auch in einem reichen Land wie Kanada. Je kleiner die Familie, je angeschlagener diejenigen, die eigentlich die Verantwortung tragen sollten, desto schwerer ist ein Stopp möglich auf der Rutschbahn nach unten. Angesichts dieses ernsten Hintergrundes fragt man sich, warum sich die Geschichte derart vergnüglich liest - auch ein Verdienst der Übersetzung von Anja Herre. Es liegt wohl zum einen am leisen, etwas resignierten Humor, mit dem der Ich-Erzähler die Wendungen in seinem Leben schildert. Aber auch an seiner Bereitschaft, sich an allem zu erfreuen, alles zu genießen, was sich dafür auch nur ansatzweise anbietet, vom Wiedersehen mit dem alten Schulfreund Dylan bis hin zum Komfort des Hotelzimmers, in dem er und seine Mutter während der Quizshow untergebracht sind. Und natürlich wird das Buch auch durch den Ideenreichtum so unterhaltsam, mit dem die chaotische Astrid sich und den Sohn beeindruckend energisch von einer Aufregung in die andere befördert, in Abenteuer, die gelegentlich durchaus ihren manchmal nicht ganz ungefährlichen Reiz haben. "Ich würde gerne sagen, dass gestohlenes Essen wie Sägespäne schmeckte", bekennt Felix an einer Stelle. "Tut es aber nicht. Es war köstlich."

Einen erheblichen Anteil am Lektüre-Vergnügen hat auch das wunderbare ethnische und charakterliche Kunterbunt des wachsenden Freundeskreises von Felix, der sich selbst als "50% schwedisch, 25% haitianisch und 25 % französisch" bezeichnet. Es sind diese Freunde und Helfer, die dafür sorgen, dass alles doch noch ein gutes - man möchte fast sagen, ein zu gutes Ende findet. (ab 12 Jahre).

© SZ vom 24.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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