Kinderbuch:Schmucksuche auf Orkney

Lesezeit: 2 min

Drei Geschwister, Waisen, die immer am Rand des Chaos leben, werden durch die geheimnisvolle Erbschaft einer verstorbenen Tante auf eine abenteuerliche Schatzsuche geschickt.

Von Siggi Seuss

In welch kunterbunten Kosmos führt Sally Nicholls uns denn nun schon wieder? Man ist zuerst einmal verwirrt, angesichts des Reichtums an Farben, Tönen, an Ereignissen, Einfällen, tragischen Elementen und komischen Situationen in "Eine Insel für uns allein", dem neuen Roman der jungen britischen Autorin ("Wie man unsterblich wird").

Anfänglich sieht es so aus, als erzähle uns Sally Nicholls mit der Stimme einer dreizehnjährigen Göre eine ungewöhnliche Familiengeschichte. Drei Geschwister - Davy (7), Jonathan (18) und Holly, die Erzählerin. Vater und Mutter gestorben. Der große Bruder bekam das Sorgerecht. Die Folgen: die Drei leben weiter in der Wohnung der Eltern und führen den Haushalt stets am Rande des Chaos. Der Beginn eines Sozialdramas? Mitnichten. Wir wechseln in eine andere Abteilung des Nichollsschen Kosmos, den Abenteuerroman. Eine superreiche Tante gibt kurz vor ihrem Tod Holly ein kleines Album mit Fotos rätselhafter Orte. Auf denen sollen die Verstecke ihres Vermögens dokumentiert sein. Wird der Schmuck, den die Tante offensichtlich den armen Kindern auf seltsame Weise vererben wollte, entdeckt? Plötzlich befinden wir uns auf einem Abenteuertrip. Und der erstreckt sich von verrotteten Gleisanlagen in einem Londoner Vorort bis zum kleinsten bewohnten Eiland der schottischen Orkney-Inseln.

Trotz aller Widrigkeiten und Herausforderungen vermittelt die begeisterungsfähige Erzählerin das Gefühl, man sei in einer lebensfrohen Welt. Übersetzerin Beate Schäfer gibt diese Stimmung treffend wieder. Sally Nicholls versetzt sich so in ihre Heldin, als sei die ihre ein paar Jahre jüngere Schwester, die den tausend Stolpersteinen im Alltag den unbeugsamen Glauben an das Gute entgegensetzt, im Sinne von "Ist das Leben nicht trotzdem schön?".

Um die Geschichte zu einem Ganzen zusammenfügen, braucht man noch eine letzte Abteilung im Erzählkosmos: die Reiselust. Denn so, wie Holly von der kargen Schönheit der Orkney-Inseln erzählt, möchte man sich sofort in den Nachtzug nach Aberdeen setzen, um schließlich per Inselhopping auf Papa Westray zu landen.

Ist ein derartiges Wandern zwischen den Welten einer konsequenten Dramaturgie abträglich? Ja, wenn man sich als Leser gerne an einem roten Faden entlanghangelt. Sally Nicholls aber erfreut sich an so vielen Dingen und Begegnungen am Wegesrand, dass sie immer wieder staunend stehenbleibt und lustvoll abschweift. Ein schönes Beispiel dafür ist die Zugfahrt der Geschwister zu einem vermuteten Schatzort. Der kleine Davy drückt die Nase an die Fensterscheibe: "Guck!, sagte er. Guck doch, Holly! Nach was?, fragte ich. Nach . . . Davy überlegte. Dann strahlte er. Nach allem!"

Wer sich also auf jene kunterbunte Reise einlässt, für den ist der Roman ein Hort freudiger Ereignisse und ein Ort freundlicher Begegnungen, der jeder Tragik eine schier unbändige Hoffnung an die Seite stellt. Freunde klarer Richtlinien hingegen werden stöhnen: "Zuviel des Guten!" (ab 12 Jahre)

Sally Nicholls : Eine Insel für uns allein. Aus dem Englischen von Beate Schäfer. dtv, Reihe Hanser, München 2017, 216 Seiten, 12,95 Euro.

© SZ vom 03.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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