Kinderbuch-Illustration:Welt & Wimmel

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Am 26. August wird Rotraut Susanne Berner siebzig Jahre alt, die Festgesellschaft ist schon versammelt: Einbandzeichnung für „Illustrators Annual“ (2017). (Foto: Berner)

Ohren, die wie Scherenklingen aussehen, Bügeleisen mit Zähnen und Wortspiele, die sich in Tiere verwandelt haben: Das Wilhelm-Busch-Museum in Hannover zeigt den Bilderkosmos der Zeichnerin Rotraut Susanne Berner.

Von Lothar Müller

Es ist dunkel im ersten Raum, der wie ein nächtlicher Abenteuerspielplatz gestaltet ist, über den Mondlicht fällt. Er setzt das "Nacht-Wimmelbuch" in Szene. Auf den Bildern schreitet, wie die Turmuhren und eine Bahnhofsuhr verraten, die Zeit voran. Über den Grundfarben, ein dunkles Blau und ein kräftiges Grün, wimmelt eine bunte Fülle von Menschen, Tieren, Pflanzen und Dingen. Im geschlossenen Kaufhaus, durch das ein Nachtwächter patrouilliert, warten Prinzessinnen und Piraten auf den Morgen.

Eine ganze Reihe von Wimmelbüchern hat die Grafikerin und Illustratorin Rotraut Susanne Berner herausgebracht, zum Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Und so, wie im Nachtbuch auf dem ersten Bild ein schwarzer Mann mit Taschenlampe entdeckt werden will, der später als Einbrecher auf frischer Tat ertappt werden wird, stecken die Figuren, die Schauplätze und die Häuser, in die man blicken kann, voller Geschichten.

Es gibt aber keinen Text, der diese Geschichten erzählt. Die Buchstaben und Wöter gibt es nur als Elemente im Bild: "Presse" steht auf dem geschlossenen Kiosk, "Poseidon" auf der Fischhandlung, und die Litfaßsäule, die gerade beklebt wird, kündigt ein Sommerkonzert an.

In der großen Ausstellung, die das Wilhelm-Busch-Museum in Hannover zum 70. Geburtstag Rotraut Susanne Berners veranstaltet, stehen die Wimmelbilder am Anfang. Wer in die Vitrine mit ihren eigenen Kindheitsbüchern, Stofftieren, einem Aufsatzheft und der "Familie Mutz" mit Versen von Ina Seidel blickt, wird in die Fünfzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts versetzt, nach Stuttgart, wo Berner am 26. August 1948 geboren wurde, nach Fellbach, wo sie zur Schule ging. Comics waren in dieser Welt noch nicht vorgesehen, Wilhelm Busch aber schon.

Enzensbergers Zahlenteufel mit dem roten Kopf tritt im Kapitel "Gretchen & Fragen" auf

Die Wimmelbücher sind an Kinder vor dem Lesealter adressiert, aber die Schwelle der Schrift und die Bücher spielen eine Schlüsselrolle im Werk dieser Künstlerin. Das kann man hier gut sehen, weil die Ausstellung nach Themenkreisen geordnet ist, darunter "Gänse & Blümchen", "Wimmel & Welt", "Techtel & Mechtel", "Papp & Satt" - und eben "Buchstaben & Salat".

Die alte Tradition der illustrierten ABC-Bücher, in der die Tiere und die Verse in die Schrift einführen, wird hier farbkräftig verjüngt, es gibt sogar eine Abteilung "Druck& Technik", in der erklärt wird, was es mit Flachdruck oder Siebdruck auf sich hat. Zugleich aber lösen sich die Zeichnungen von ihren eigenen Texten wie von den Texten der Autoren, die Rotraut Susanne Berner illustriert hat, darunter Hans Christian Andersen, Sylvia Plath oder Hans Magnus Enzensberger, dessen "Zahlenteufel" mit seiner roten Jacke und seinem roten Kopf in der Abteilung "Gretchen & Fragen" seinen Auftritt hat.

Rachen werden gestopft, in weit aufgerissene Münder wird gegriffen. Und da das Prinzip dieses Werks der Bilderkosmos ist, gibt es Tod und Krankheit, Streit und Wut, und den Regenschirm über dem kleinen, braunen Sarg unter schwarzem Himmel, und einmal tanzt ein Tod, dessen Schädel dem Mittelalter entstammt, mit einer sehr modernen Dame. Das Wimmelbild, auf dem es viel Verborgenes zu entdecken gilt, ist dabei nur der eine ästhetische Pol. Der andere kommt dem Plakat nah, dem klaren, überschaubaren Bildaufbau mit hinreißenden Dialogen zwischen monochromen Flächen und bunten Pointen, in denen Sprach- und Wortspiele oder Nonsense-Verse - "Dunkel war's, der Mond schien helle" - zum Bild geworden sind.

Ein Mann mit Hut in gestreifter Hose ergreift die Hand des übergroßen Schattens, den er an die Wand wirft. Die Ohren eines Hasen haben sich in die Klingen einer Schere verwandelt. Die weißen Zähne im Maul eines schwarzen Bügeleisens mit rotem Griff könnten gleich zuschnappen, der Kragen ohne Hemd daneben scheint das, blickt man auf seine Augen, ernsthaft zu befürchten.

Rotraut Susanne Berner: Sammel & Surium. Bilder und Bücher aus 40 Jahren. Bis 4. November. Wilhelm Busch - Deutsches Museum für Karikatur & Zeichenkunst. Georgengarten, Hannover. Das Katalogbuch (Gerstenberg Verlag) kostet 25 Euro. Weitere Informationen: www.karikatur-museum.de.

© SZ vom 22.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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