Karl-Theodor zu Guttenberg:Halbgott und Biedermeier

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Manchen gilt Karl-Theodor zu Guttenberg derzeit als menschgewordenes Stuttgart 21, für andere ist er der unerreichbare Ideal-Schwiegersohn. Was ist dran am Herrn Baron?

Kurt Kister

An Stuttgart 21, das sagen Demokratieexperten im Fernsehen, könne man sehen, wie der Bürger seinem Misstrauen gegen die Politik als solche Ausdruck gibt. Ein eher sonderbares Objekt - ein muffiger, monumentalistischer Bahnhof in einer Provinzhauptstadt - wird zum Gegenstand kollektiv auf die Straße getragener Leidenschaft. Dies ist besonders schräg, weil das Verhältnis der Schwaben zur Leidenschaft etwa mit dem der Griechen zur ordentlichen Haushaltsführung vergleichbar ist.

Dank Karl-Theodor zu Guttenberg wird der Adel derzeit gepriesen. Ist daran Guido Westerwelle schuld? (Foto: dpa)

Beim politischen Personal ist in den letzten Wochen Karl-Theodor zu Guttenberg für jene, die sich selbst als Bürger ausgeben, zum menschgewordenen Stuttgart 21 avanciert. An dem Baron, der streng genommen kein Baron ist, aus rhetorischen Gründen aber so genannt werden muss, ranken sich vielfältige Hoffnungen empor. Er verkörpert die Vorstellung eines unerreichbaren Ideal-Schwiegersohns in einer Weise, dass die Zuschauerinnen von Plasberg und Rosamunde Pilcher dem jungen Baron sogar verzeihen, dass er längst eine Bismarck geheiratet hat.

Ist es also dieses Deutschland, nach dem sich der Bürger sehnt, der gerne wandert, ein wenig den Islam fürchtet und die FAZ intensiver lesen würde, könnte er denn die Skurrilität des Seite-1-Bildes mit den nicht mehr Fraktur-übertitelten, aber dennoch häufig baronischen Leitartikeln überein bringen? So sieht das neue Bürger-Deutschland aus: Ursula von der Leyen auf dem Pferd; die Bild-Zeitung, die gelesen wird von den Nachkommen der Leibeigenen, preist den Adel; die CSU gibt sich dem Baron hin, obwohl sie früher eine Partei niederbayerischer Bauernbuben und aufstrebender fränkischer Kleinhäusler war.

Man kann durchaus verstehen, dass sich mancher angesichts des Zustands des einst politisch wie kulturell progressiven Teils der Gesellschaft nicht mehr mit Alice Schwarzer, den Kirchentagen oder gar der SPD, die dem Revisionismus gegenüber wieder revisionistisch eingestellt ist, identifizieren mag. Auch die Berliner Buttermilch-Koalition weckt das Verlangen danach, dass es jenseits von Langeweile und zänkischer Besserwisserei Politiker, gar eine Regierung geben möge, die nicht bald nach Amtsantritt alle Erwartungen zertöppert, deretwegen sie eine Mehrheit der Wähler den anderen vorgezogen hat.

Die Apotheose des Barons hat einen simplen Ursprung. Im Jahr 2010 hat sich erwiesen, dass die Bürgerlichkeit der FDP mit ihrem schrillen Beigeschmack nicht das bewirkte, was sich die von Rot-Grün und Rot-Schwarz Enttäuschten erhofft hatten. "Geistig-politische Wende" (©Westerwelle) war nicht. Also sucht man nun nach etwas Neuem, und sei dies ein gut gekleideter Lehnsherr des digitalen Biedermeiers.

© SZ vom 30.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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