Kammermusik:Auf der Suche nach Diotima

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Bei den Salzburger Festspielen stellt das Minguet Quartett Luigi Nonos "Fragmente" neben Verdi und Beethoven.

Von Michael Stallknecht

Trotz der glühenden Sommerhitze in Salzburg ist das kühlende Fächeln in Konzerten der Festspiele nicht mehr erlaubt, um der Verbreitung von Aerosolen keinen Vorschub zu leisten. Die strenge Stimme sagt es durch, die dem Publikum auch erst beim Auftritt der Musiker das Abnehmen der Masken erlaubt. Schließlich sind die Umsitzenden gefühlt ziemlich nahe bei nur einem Meter Abstand von Körpermitte zu Körpermitte in der gut besuchten Kollegienkirche.

Fischer von Erlachs Barockbau ist in diesem Jahr vor allem Ort der Reihe "Fragmente - Stille", die ihren Titel von Luigi Nonos gleichnamigem Streichquartett aus dem Jahr 1980 hat. Nono ist seit langem ein wichtiger Bezugspunkt für die Festspiele. Eigentlich hätte in diesem Jahr seine groß besetzte, das Unheil der Erde anklagende Oper "Intolleranza 1960" auf dem Programm stehen sollen, die aufs kommende Jahr verschoben wurde. Nun spielt das Minguet Quartett immerhin "Fragmente - Stille, an Diotima" als dritten Abend der Reihe. Das Streichquartett eröffnete die späte Werkphase des 1990 verstorbenen Komponisten, in der er den politischen Impuls eher ins Innere verschob oder, was dasselbe ist, an den Horizont des Utopischen und Idealen. Es ist das Reich Diotimas, die schon Platon zur Symbolfigur der Weisheit und Friedrich Hölderlin später zu seiner idealen Geliebten erhob. 52 kurze Fragmente aus Gedichten Hölderlins hat Nono seinem Quartett zugrunde gelegt, denen ebenso knappe musikalische Fragmente entsprechen. Keine geschlossene Erzählung, nicht mal eine geschlossene Form möchte dieses Werk mehr bieten, sondern sich der ewig unabgeschlossenen Suche widmen. Die Suche geht in die Stille, ereignet sich vor allem in den vielen Pausen, die zwischen den leisen und leisesten Streicherklängen liegen.

In dieser Stille hallen auch Werke der Tradition nach, die für Nono von lebensgeschichtlicher Bedeutung waren: Johannes Ockeghems Chanson "Malheur me bat", das späte "Ave Maria" von Giuseppe Verdi mit seiner "Scala enigmatica", der "rätselhaften Tonleiter", und der "Heilige Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit" aus Beethovens Streichquartett op. 132. Das deutsche Minguet Quartett (Ulrich Isfort, Annette Reisinger, Violinen; Tony Nys, Viola; Matthias Diener, Violoncello), das Traditionelles schon immer mit Zeitgenössischem verbunden hat, stellt sie in Salzburg vor Nonos Fragmente. Daraus entsteht ein achtzigminütiges Programm, das musikwissenschaftlich fraglos schlüssig ist und sich obendrein unter Corona-Bedingungen gut ohne Pause realisieren lässt.

In der gehörten Praxis aber führt es überraschend wenig weit. Zum einen, weil Nono die ältere Musik nicht explizit zitiert, sondern sie im Hintergrund, nur für die Analyse aufspürbar, mitschwingen lässt. Zum anderen, weil die Minguets sie zu brav, zu gutbürgerlich spielen, um danach Nonos Stille wirklich mit Spannung aufzuladen. Das seit 1988 bestehende Ensemble bietet ein bestens ausgelotetes, im Detail ausgehörtes Zusammenspiel, dem auch Nonos avancierte Spieltechniken in Sachen Präzision keine Probleme bereiten. Doch Verdis "Ave Maria" - ein Chorstück, als Transkription auf Streichinstrumenten jedoch gut realisierbar - könnte gerade als Gegengewicht zu Nonos Verinnerlichung mehr expressive Glut vertragen. Und auch bei Beethovens "Dankgesang" strebt die Minguets kaum nach den Extremen, die hier möglich wären. Insofern aber wirkt auch Luigi Nonos Werk eigentümlich historisch, erscheint eher als Endpunkt einer korrekt aufgezeigten Linie denn als Aufbruch zu einer Suche nach etwas gänzlich Neuem.

© SZ vom 12.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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