Justizroman "Der Gerechte":John Grisham schafft sich seinen Serienhelden

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Erzählen, das kann er: John Grisham. (Foto: dpa)

Starautor John Grisham schickt in seinem neuen Buch "Der Gerechte" einen Verteidiger auf Tour, der Mandate robust wahrnimmt. Offensichtlich nicht zum letzten Mal.

Buchkritik von Ulrich Baron

Nie ging es bei John Grisham so turbulent und komisch zu wie bei der Hinrichtung von Link Scanlon. Als dessen letztes Stündlein geschlagen hat, nagt er noch an den Resten der Henkersmahlzeit und lässt durchblicken, dass er seinen Anwalt für einen Versager hält. Doch was hätte der tun können? Bei Richtermord lässt sich Justitia nicht erweichen.

Während Todeskandidat und Verteidiger miteinander Karten spielen, werden sie wiederholt von Justizmitarbeitern gestört, die hektisch und schwer bewaffnet ins Zimmer stürmen. Jedes Mal hektischer, jedes Mal schwerer bewaffnet. In verschiedenen Gerichten sind Brandbomben hochgegangen; rund um den Todestrakt tobt inzwischen eine Gefangenenrevolte. Endlich wird die Kontrollwut der Wächter belohnt. ",Er ist weg! Er ist weg!', brüllten sie. ,Seht auf dem Dach nach!'" Aber Scanlon bleibt weg. Nur seinen Anwalt hat er dagelassen.

John Grisham: Der Gerechte. Roman. Aus dem Englischen von Kristiana Dorn-Ruhl, Bea Reiter und Imke Walsh-Araya. Heyne, München 2016. 416 Seiten, 22,99 Euro. E-Book 18,99 Euro. (Foto: dpa)

Sebastian Rudd - Grishams Serienheld?

Das ist gleich doppelt verwerflich, denn dieser Anwalt heißt Sebastian Rudd und im amerikanischen Originaltitel auch "Rogue Lawyer", was man sich als Schurkenanwalt oder Anwaltsschurke übersetzen könnte. Rudd nimmt Mandate auf robuste Weise wahr, verteidigt echte Richtermörder und vermeintliche Kinderschänder und hat sich damit viele Sympathien verscherzt.

Nach einem Bombenanschlag hat er sich deshalb einen gepanzerten Van zugelegt, in dem ein Hüne namens "Partner" als Chauffeur, Leibwächter und Anwaltsgehilfe agiert. Und wie es aussieht, ist er gekommen, um zu bleiben. Grisham hat schon mal durchblicken lassen, dass Rudd sein erster Serienheld werden solle. Das erklärt das Anekdotische dieses Buchs, dessen Erzählungen sich nur lose zum Roman verbinden.

Obwohl viel beschäftigt und immer auf Achse, darf für Rudd ein kollegialer Gruß an Michael Connelly nicht fehlen. Dessen "Lincoln Lawyer" Mickey Haller hat die mobile Kanzlei in den Kriminalroman eingeführt. Rudd liest Connellys Bücher zum spätabendlichen Bourbon. Doch obwohl er es hier auch mit einem leibhaftigen Psychopathen zu tun bekommt, entsteht Spannung nicht so sehr wie bei Connelly aus Kriminalfällen. Spannung entsteht bei Grisham vor allem aus dem skandalösen Gegensatz von Rechtspraxis und Rechtsempfinden.

Gottes Hand schützt besser als Grishams

Für Polizisten, Staatsanwälte und besorgte Bürger ist Rudd ein Hassobjekt, ein Rechtsverdreher, der seine Klienten mit miesen Tricks freikämpft. Für Rudd selbst und Grishams Leser ist er der Mann, der einer korrumpierten Justiz mit ihren eigenen schmutzigen Mitteln Paroli bietet. Es gebe schlechte Gesetze, die von ahnungslosen Leuten geschrieben wurden, sagt Rudd. Gesetze, nach denen ein biederer Bürger, der nachts in seinem Haus von einem Sturmtrupp der Polizei überfallen worden ist, dessen Frau und Hunde erschossen wurden, sich einer Anklage wegen versuchten Polizistenmordes ausgesetzt sieht, während Beamte im Einsatz vor jeder Strafverfolgung geschützt seien.

Man wünschte sich mehr Autoren, die so anschaulich und spannend über Recht und Rechtspraxis zu schreiben verstehen wie John Grisham. Nur kann er es einfach zu gut. Wer nach der Lektüre seiner Romane glaubt, nun selbst vor Gericht ziehen zu können, dem kann es ergehen wie dem Herrn von der Mancha mit seinen Ritterromanen. Das Kleingedruckte, die Paragrafen, Fußnoten und Kommentare, ohne die es in der Praxis nicht geht, fehlen, und in welchem Bundesstaat welche schlechten Gesetze gelten, wird leider nicht näher erläutert. Vor Gericht und beim Kampf um Gerechtigkeit generell ist man in der Hand Gottes immer noch besser aufgehoben als in der Grishams. Aber erzählen, das kann er.

© SZ vom 08.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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